: Die letzte große Oper
Lindsey Vonn gewinnt Bronze in der Abfahrt und liefert einmal mehr großes Gefühlskino. Die Italienerin Sofia Goggia gewinnt Gold und huldigt der besten Skifahrerin aller Zeiten
Aus Jeongseon Florian Haupt
Wenn sogar das Maskottchen gebusselt wird wie ein Pokal, dann spricht das für emotionalen Ausnahmezustand. Wobei dessen Feststellung im Fall von Lindsey Vonn keinen höheren Neuigkeitswert hat als ein umgefallener Sack Reis in Korea. Seit Vonn dort aufgeschlagen ist, hatte sie der Welt unter anderem ihr Hündchen präsentiert, eine Partnerschaftsanzeige aufgegeben und denunziert, manche Leute würden sie gern „die Klippe runterstürzen sehen“. Wo nebenher bei den Spielen ja immer auch eine Kulturolympiade gefeiert wird, könnte dem amerikanischen Skistar die Goldmedaille in den Disziplinen Drama und Volkstheater gewiss niemand streitig machen. Die einzige Frage blieb also: Würde sie auch sonst etwas gewinnen?
Sie tat es, Bronze in ihrer Lieblingsdisziplin, der Abfahrt. Eigentlich sollte es Gold werden, zum zweiten Mal nach Vancouver 2010 und besonders, seit im November ihr Großvater verstorben war: für ihn werde sie fahren, erklärte sie vor Olympia unter Tränen, und seine Initialen trug sie nebst Herzchen beim Rennen dann auch auf dem Helm. Doch als sie auf die Strecke ging, setze sie nur einmal die beste Zeit, nach den ersten fünf Sekunden. Danach erwies sich die Marke ihrer großen Rivalin der letzten Monate, der Italienerin Sofia Goggia, als unschlagbar. Auch die Norwegerin Ragnhild Mowinckel, Silbermedaillengewinnerin bereits im Riesenslalom, schob sich noch vorbei.
Vonn, 33, gratulierte fair und zeigte mit gestrecktem Finger auf Goggia, diese Geste tauschen beide schon die ganze Saison über aus. Im November war die Italienerin auf einen Café in Vail vorbeigekommen, um sich Ratschläge geben zu lassen: „wahrscheinlich hat es ihr geholfen, aber ich habe es gern getan“. Wenn man den beiden gestern so zuhörte, dann bekam man eine Idee, warum das Pendel jetzt zugunsten der 25-Jährigen aus Bergamo ausschlug. Italiens erste Abfahrts-Olympiasiegerin der Geschichte erzählte, wie sie sich am Vorabend über Meditation auf die Suche nach „meiner Authentizität“ gemacht und vorgenommen habe, „die beste Sofia zu sein, die ich sein konnte“. Sie achtete nur auf sich, während Vonn einräumte, ihre Startnummer (7) absichtlich nach der Goggias (5) ausgesucht zu haben, um den Lauf ihrer Konkurrentin vor dem eigenen Start verfolgen zu können. Sie ließ sich ablenken – von den anderen Nebengeräuschen ganz zu schweigen.
Vonns Leben ist prominent, aber nicht einfach. Sie leidet an Depressionen und immer wieder an komplizierten Beziehungen, die Trennung von ihrem Exmann war traumatisch, erst danach reparierte sie das Verhältnis zu ihrem Vater. Die Liaison mit Tiger Woods wirkte wie ein Rehabilitationsversuch zweier verletzter Egos, und rechte Amerikaner verstört sie mit ihrer Freizügigkeit bei der Selbstvermarktung wie mit ihren Ansichten. „Ich möchte unser Land gut repräsentieren“, sagte sie kürzlich. „Ich denke nicht, dass viele Mitglieder unserer aktuellen Regierung das von sich behaupten können.“
Im Zielraum von Jeongseon begann die Interviewtour nun erneut mit Tränen. Wegen des Großvaters. Wegen der Verletzungen, die sie unter anderem die Teilnahme an den Spielen 2014 kosteten. Und wegen des Bewusstseins, dass dies ihre letzte Olympiaabfahrt gewesen war. Als sich Vonn später wieder gefasst hatte, erlaubte sie sich die zugehörige Melancholie. „Ja, ich werde Olympia vermissen. Im Starthaus mit so viel Druck zu stehen, dass du zu ersticken glaubst. Sich einfach nur den Berg runterzustürzen und versuchen zu gewinnen. Ich wünschte, ich könnte weitermachen, ich wünschte, mein Körper würde es zulassen.“
Stattdessen wird es das nach der Kombination heute mit Olympia gewesen sein für Lindsey Vonn, die von Goggia noch als das gewürdigt wurde, was sie ist: „die beste weibliche Skifahrerin aller Zeiten“. 81 Weltcupsiege hat sie, nur 5 noch auf die legendäre Bestmarke von Ingemar Stenmark (86). Das wird jetzt ihr Fokus sein. In Korea aber gab es Bronze und damit nach all der Hysterie vielleicht genau den richtigen Abschluss. Nicht Gold, nicht Holz, nicht Triumph, nicht Niederlage, sondern irgendwas dazwischen – wie das Leben eben auch oft ist.
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