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Bomben und Soldaten gegen 400.000 Zivilisten

Syriens Regime läutet mit Luftangriffen auf die seit Jahren eingekesselte Ost-Ghouta bei Damaskus eine Großoffensive ein und hilft zugleich den von der Türkei bedrängten Kurden

Von Beate Seel

Die Menschen in der Ost-Ghouta, einem abgeriegelten Rebellengebiet etwa 15 Kilometer vom Zentrum der syrischen Hauptstadt Damaskus entfernt, gehen dieser Tage durch die Hölle. Die Region mit etwa 400.000 Einwohnern wurde am Dienstag den zweiten Tag in Folge von Kampfflugzeugen, Hubschraubern sowie von Artillerie massiv bombardiert. Solche Luftangriffe gehen gemeinhin auf das Konto der Regierung von Syriens Präsident Baschar al-Assad sowie seines russischen Verbündeten.

Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, in weniger als 48 Stunden seien in der Ost-Ghouta fast 200 Menschen getötet worden. Sollten sich diese Angaben bestätigen, würde es sich um die schwersten Angriffe seit dem Jahr 2013 handeln.

In einer Reaktion auf diese maßlose Gewalt veröffentliche der Nahost-Direktor von Unicef, dem Kinderhilfswerk der UNO, eine ungewöhnliche Erklärung, die weitgehend leer war. Am Ende heißt es in einer Fußnote: „Wir geben diese leere Mitteilung heraus. Wir haben nicht länger die Worte, um das Leiden der Kinder und unsere Empörung zu beschreiben. Haben diejenigen, die dieses Leiden verursachen, noch Worte, um ihre barbarischen Taten zu beschreiben?“

Die Ost-Ghouta wird von Rebellengruppen kontrolliert, unter denen auch radikale Islamisten sind, und ihre Bewohner liegen seit Monaten unter Beschuss; gelegentlich feuern Rebellen im Gegenzug mit Mörsern in Richtung Damaskus. Bei den jetzigen Angriffen handelt es sich um den „Auftakt zu einer Bodenoffensive, die jeden Moment beginnen kann“, wie Syriens staatliche Medien berichteten.

Der russische Außenminister Sergei Lawrow sagte am Montag gegenüber Reuters, dass Moskau und seine Verbündeten „ihre Erfahrung bei der Befreiung von Aleppo“ in der Ost-Ghouta nützen könnten. In Aleppo in Nordsyrien hatten Regierungstruppen und ihre Verbündeten Ende 2016 nach schweren Kämpfen und Luftangriffen den von Rebellen gehaltenen Osten der Stadt zurückerobert; die noch verbliebenen Bewohner erhielten freies Geleit, viele wurden mit Bussen nach Idlib gebracht. Ein ähnliches Schicksal droht jetzt der Bevölkerung der Ost-Ghouta, sofern sie die neuen Angriffe übersteht.

Die jüngsten Angriffe trafen gezielt die Infrastruktur, vor allem Einrichtungen, in denen die Angreifer Lebensmittel vermuteten. Humanitäre Helfer berichteten gegenüber der britischen BBC zudem über den gezielten Beschuss von Straßen, um Hilfs- oder Rettungsaktionen sowie die Fahrt von Krankenwagen zu behindern. Auch wurden gezielt medizinische Einrichtungen bombardiert. Die letzte auswärtige Hilfslieferung, neun Lastwagen mit Lebensmitteln und Medikamenten für 7.200 Personen, erreichte die Ost-Ghouta am 14. Februar. Es war die erste Lieferung seit dem 28. November 2017.

Unterdessen rückten Kämpfer von Milizen, die Syriens Armee nahestehen, nach Angaben von Aktivisten in die Kurdenregion Afrin im Norden des Landes ein, um die kurdischen Rebellen dort gegen die laufende Offensive der Türkei zu unterstützen. Den Berichten zufolge kamen die Milizionäre unter türkischen Beschuss.

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