Hamburger Symphoniker: Neuer Chefdirigent
Mit Sylvain Cambreling übernimmt schon der zweite „Rentner“ in Folge das Chefdirigat der Hamburger Symphoniker. Seine Unaufgeregtheit könnte helfen.
Interessant ist, dass Cambreling, bekannt für spannende Kooperationen mit Regisseuren und brillante Kombinationen aus Klassik und Avantgarde, schon der zweite Dirigent ist, der die Symphoniker im Rentenalter übernimmt. Während Tate dort mit 66 Jahren angetreten war, ist Cambreling schon 69 und hörte kürzlich „aus Altersgründen“ als Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper auf.
Warum die Wahl auf einen betagten Dirigenten viel, sagen die Symphoniker nicht. Es hätten sich „etliche Interessenten“ beworben, sagt Pressesprecher Olaf Dittmann, „und mit Cambreling hat die Chemie am besten funktioniert“.
Das mag stimmen. Sein Gastauftritt im Oktober 2017, als er die Symphoniker mit einem Tate gewidmeten Programm dirigierte, bekam gute Kritiken; die Symphoniker schienen über sich selbst hinauszuwachsen.
Und wenn Cambreling, der Frankfurts Oper 1995 zum „Opernhaus des Jahres“ machte, sagt, er freue sich auf den neuen Job, wirkt er kein bisschen müde. Auch stört ihn nicht, dass er „nur“ das Residenzorchester der Laeiszhalle übernimmt und nicht das der Elbphilharmonie.
Die Laeiszhalle habe eine „wunderbar warme Akustik“, sagte er bei seiner Präsentation am Sonntag, und man spürte: Dieser Mann muss sich nicht mehr profilieren, und vielleicht ist diese Gelassenheit, das „kontinuierliche Arbeiten“; das er verspricht, genau richtig für die Symphoniker.
Denn auch wenn Cambreling es diplomatisch formuliert: Natürlich weiß er, dass Posaunen, und Schlagwerk oft zu laut spielen. „Bei den tiefen Stimmen muss man aufpassen“, sagt er. Die Musiker müssten „mit den Ohren arbeiten“ – weshalb er die Posaunisten auffordere, gerade an lauten Stellen auf die Piccolo-Flöten zu achten.
Cambreling weiß, wovon er spricht, hat er doch vor seiner Dirigentenkarrieren Posaune und Bass studiert. Er weiß, was er will, „aber es ist nicht mein Ziel, Macht auszuüben oder autoritär aufzutreten“. Die fachliche Autorität erweise sich dann von selbst.
Therapeutischer Effekt
Etwas konservativ klingt es allerdings, wenn er findet, Musik müsse vor allem Emotionen transportieren. „Es ist wichtig, dass wir wieder lernen zu fühlen: Was ist Wildheit, was ist Trauer, was ist Glück.“ Musik müsse glücklich machen, „und sie hat einen therapeutischen Effekt – auch für mich“, sagt er.
In solchen Momenten wirkt Cambreling weniger politisch als Vorgänger Tate, der Benjamin Brittens „War Requiem“ zum Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs aufführte – und sich selbst trotzdem mangelndes politisches Engagement vorwarf.
Cambreling fokussiert anders: „Natürlich hat Musik eine politische Dimension“, sagt er. Menschen verändern könne man aber am ehesten durch gemeinsame Momente der Harmonie.
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