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Sie gröhlen wieder

Der Stimmungsboykott bei Hannover 96 ist beendet, zumindest vorerst. Während des Heimspiels gegen den SC Freiburg trugen die Fans ihre Mannschaft lautstark zum 2:1-Sieg

Banner und Fangesänge: Auch wenn die Hannover-Ultras in der Nordkurve wieder ihre Fangesänge anstimmen, der Zwist mit der Vereinsführung ist noch nicht beigelegt Foto: Peter Steffen/dpa

Von Dennis Ebbecke

In der vorletzten Minute wird es in Hannover nochmal richtig laut. Als dem SC Freiburg in der 88. Minute der 1:2-Anschlusstreffer gelingt, dröhnt von den Rängen der HDI-Arena ein lautstarkes „HSV, HSV, HSV“. Und am Ende rettet Hannover 96 drei Punkte ins Ziel – zum ersten Mal seit Monaten wieder mit Unterstützung des gesamten Stadions

Monatelang hatten die Ultras geschwiegen. Damit brachte die „Aktive Fanszene“ ihren Protest gegen Vereinspräsident Martin Kind zum Ausdruck, der hartnäckig für die Abschaffung der sogenannten 50+1-Regel warb. Diese zielt darauf ab, dass die Mehrheit an der Profiabteilung von den Mitgliedern kontrolliert werden muss. Kind hingegen verfolgt das Ziel, den Profifußball vom Verein zu lösen, um Tür und Tor für Investoren zu öffnen. Den traditionsbewussten Fans der Roten ist dieses Vorhaben ein Dorn im Auge, das sie seit geraumer Zeit mit ihren „Kind muss weg“-Sprechchören und -Plakaten zu verhindern versuchen.

Doch da die Deutsche Fußball Liga (DFL) dem mächtigen 96-Boss die Übernahme Anfang Februar verweigert und der 73-Jährige seinen Antrag auf eine Ausnahmeregelung vorerst auf Eis gelegt hatte, kündigten die Anhänger – vorerst für die kommenden drei Spiele – ein Ende ihres Schweigens an. Am vergangenen Dienstag hatten rund 500 Ultras so entschieden

Und sie hielten ihr Wort: Im Heimspiel gegen die Freiburger kehrte wieder ein Stück Normalität ins Stadion. Vorbei die Zeit in denen die Anhänger der Gastmannschaften den Geräuschpegel diktierten. Bereits vor dem Anpfiff reckten die Anhänger ihre Schals in die Höhe und sangen mit Inbrunst ihre Hymne „96, alte Liebe“. Von der ersten Minute an peitschten sie ihre Mannschaft nach vorne. „96, Hannover 96, du bist unsere Liebe, in den Farben Schwarz, Weiß, Grün“, schallte es durchs Stadion.

Der 28-jährige Marco aus Minden freut das: „Endlich wieder Stimmung. Es ist wichtig, dass das ganze Stadion mitmacht und dass alle die Mannschaft unterstützen. Vielleicht sieht Herr Kind jetzt mal, dass er den Laden ohne die Fans dichtmachen kann.“ Der Unterschied zu den vorherigen Partien war nicht zu überhören: Immer dann, wenn es für 96 brenzlig wurde, waren die Fans zur Stelle, brüllten und trommelten ihre Roten nach vorne. Trainer André Breitenreiter sagte nach dem Spiel: „Wir sind alle sehr glücklich, dass wir das gesamte Stadion hinter uns hatten und dass Anfeuerungsrufe zu vernehmen waren – vor allem in den Phasen, in denen wir sie benötigten. Das war insbesondere nach dem Anschlusstreffer der Fall.“

Also endlich wieder Gänsehaut-Stimmung in der HDI-Arena? Nein, soweit sollte man (noch) nicht gehen. Auch wenn die Ultras mit ihren Gesängen unüberhörbar an der Lautstärke schraubten, ist es nicht so, dass ohne sie gar nichts ginge. An dieser Stelle sei an die Heimsiege aus der Anfangsphase der Saison erinnert, als Hannover 96 Spitzenvereine wie Schalke 04 (1:0) und Borussia Dortmund (4:2) niederringen konnten. Den Zuschauern war es damals auch ohne Ultragesänge von der Nordkurve gelungen, die Mannschaft auf ihre eigene Art und Weise zu unterstützen.

„Jetzt brauchen die Ultras auch nicht mehr singen“

Igor, Hannover 96-Fans

Dementsprechend rollte nicht jeder Zuschauer den Ultras gleich den Roten Teppich aus. Igor, der seit Jahren im Stadion zu Hause ist, sagte vor dem Spiel gegen Freiburg: „Jetzt brauchen die Ultras auch nicht mehr singen. Wir haben die Saison auch ohne ihre eintönigen Anfeuerungsrufe gut hinbekommen. Und überhaupt: Ohne Martin Kind würden wir heute gegen Arminia spielen“, so der langjährige 96-Fan.

Die Anhängerschaft von Hannover ist gespalten, die Stimmung trotz den Heimsiegs gegen Freiburg weiter gereizt. Nach dem Abpfiff folgten auf euphorische Gesänge wütende Pfiffe. Einige Fans fühlten sich von den Spielern nicht ausreichend gewürdigt. Denn die blieben während ihrer Stadionrunde auf Distanz zur Kurve der Ultras. Kapitän Philipp Tschauner sagt dazu nur: „Wir haben das in den letzten Spielen auch so gemacht. Deshalb haben wir gesagt, machen wir das so weiter.“

Ende des Monats ist eine offene Diskussion zwischen Vertretern von Fans und Clubführung geplant. Ein Pastor soll die Veranstaltung moderieren. Welche Seite den Segen erhält, bleibt abzuwarten.

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