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Hoffnungen auf Eis

Social Freezing ist, wenn eine Frau ihre Eizellen einfrieren lässt, um etwa nach erfolgreicher Karriere noch schwanger werden zu können. Wie große die Nachfrage in Deutschland ist, ist unklar, aber Experten stellen steigenden Gesprächsbedarf fest

Entnahme erfolgreich? Eizellensuche in einem Labor für Reproduktionsmedizin Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Von Joachim Göres

Frauen brauchen nicht auf eine Karriere zu verzichten: Das war die Botschaft von Konzernen wie Apple und Facebook, die vor einigen Jahren ihren Mitarbeiterinnen anboten, unbefruchtete Eizellen einfrieren zu lassen. Wenn sie erst beruflich etabliert seien, und sei es mit 40 aufwärts, könnten die Eizellen aufgetaut, im Labor befruchtet und den Frauen wieder eingesetzt werden – auf Kosten des Arbeitgebers. Für die einen ein verlockendes, für die anderen ein unmoralisches Angebot, das bekannt wurde unter der Bezeichnung „Social Freezing“.

„In der Öffentlichkeit geht es immer um sogenannte Karrierefrauen, die sich für Social Freezing interessieren“, sagt der Gynäkologe Frank Nawroth vom Facharztzentrum für Endokrinologie, Pränatale Medizin, Kinderwunsch und Osteologie in Hamburg. „Die Realität sieht anders aus: Es sind vor allem Frauen ohne aktuellen Partner, die sich die Möglichkeit für ein Kind zu einem späteren Zeitpunkt offen halten wollen und sich deshalb von uns beraten lassen.“ Das Hamburger Zentrum gehört zu einem von mehr als 90 Kinderwunschzentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die im Netzwerk Fertiprotekt gemeinsame Standards für das Social Freezing festgelegt haben.

Dazu gehört die Information an die Frauen, dass sie deutlich höhere Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft haben, wenn die unbefruchteten Eizellen vor ihrem 35. Lebensjahr eingefroren werden. Auch sollte ein Einsetzen befruchteter Eizellen wegen der erheblichen Schwangerschaftsrisiken bei Frauen ab 50 Jahren vermieden werden. Für eine realistische Chance auf eine Schwangerschaft sollten 10- bis 15 Eizellen entnommen werden – wird diese Zahl bei der ersten Entnahme nicht erreicht, sind weitere Eingriffe nötig. Im Schnitt zahlen die Frauen bei Nawroth 8.000 Euro, hinzu kommen 200 Euro je Halbjahr für die Lagerung der Eizellen.

Viel Geld für wenig Sicherheit, findet Tewes Wischmann, Privatdozent am Institut für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Nach seinen Angaben liegt in Deutschland das Durchschnittsalter der Frauen bei der Eizellenentnahme bei 37 Jahren. Nur in zwei von zwölf Fällen wird später tatsächlich ein Baby geboren. „Oft ist die Frau zu alt, wenn sie sich die Behandlung finanziell leisten kann“, sagt Wischmann. „Die Erfolgsaussichten werden deutlich überschätzt. Die Beschäftigung mit Social Freezing führt dazu, dass sich zu wenig Gedanken darüber gemacht werden, wie es ist, wenn es mit dem Kinderwunsch nicht klappt.“

Es sind vor allem Akademikerinnen, die sich zum Thema beraten lassen. In Deutschland bleiben 28 Prozent von ihnen kinderlos. „Der Anteil der kinderlosen Akademikerinnen gilt als besonders hoch, aber das stimmt nicht. Bei deutschen Frauen ohne Migrationshintergrund, die keinen Schulabschluss haben, liegt dieser Anteil bei 25 Prozent“, sagt Martin Bujard, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.

Die ärztliche Psychotherapeutin Susanne Quitmann berät in Hamburg Frauen zu Social Freezing. „Viele kommen mit einem schlechten Gewissen, weil sie ihren Kinderwunsch so lange herausgezögert haben, und setzen großen Hoffnungen in Social Freezing. Einige denken, dass sie im höheren Alter mehr Zeit und Gelassenheit für ein Kind haben, dabei können die Wechseljahre eine ganz schwierige Phase sein. Das muss man ansprechen“, sagt Quitmann. Nach ihren Erfahrungen liegt die Altersgrenze für die Eizellenentnahme bei vielen Kinderwunschzentren bei 40 Jahren. Quitmann warnt davor, dass die Diskussion dazu führt, dass die Entscheidung immer mehr den Frauen zugeschoben wird: „Wenn es um Verhütung und Reproduktion geht, sind Männer genauso zuständig. Das muss man schon in jungen Jahren klarmachen.“ Männer machten sich häufig erst über Kinder konkrete Gedanken, wenn sie über 40 Jahre alt seien – und begäben sich dann nicht selten auf die Suche nach einer jüngeren Partnerin.

Hans Dudda, Frauenarzt aus Dortmund, ist ein anderer Punkt wichtig: „In Deutschland lautet die Reihenfolge: erst der Beruf, dann die Kinder. Skandinavische Länder zeigen, dass mit finanzieller Unterstützung des Staates beides parallel möglich ist.“ Das Durchschnittsalter der Frauen in Deutschland bei der Geburt des ersten Kindes liegt gegenwärtig bei über 30 Jahren.

Komplikationen sind selten

Für eine Eizellenentnahme muss eine Frau über 18 Jahre alt sein, nach oben hin gibt es in Deutschland keine gesetzliche Begrenzung. Eine Hormonbehandlung zuvor ist erforderlich.

Entnommen werden die Eizellen mit einer Nadel meist durch die Vagina oder per Bauchspiegelung aus den Eierstöcken, in der Regel unter Narkose. Schwere Komplikationen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten, traten dabei nach bisherigen Studien in weniger als einem Prozent der Fälle auf – zu den psychischen Auswirkungen gibt es bislang keine Daten.

Die Eizellen werden im „Vitrifikationsverfahren“ schockgefroren und bei -196 Grad Celsius gelagert (Kryokonservierung). Um sie, wieder aufgetaut, zu befruchten, ist oft eine Spermieninjektion nötig. Die befruchtete Eizelle wird dann in die Gebärmutter transferiert.

Entwickelt wurde dieses Verfahren unter dem Namen Medical Freezing ursprünglich für Krebspatientinnen, die vor einer Chemotherapie Eizellen entnehmen lassen können.

Der Sozialdienst katholischer Frauen bietet in Meppen Schwangerschaftsberatung an. „Dabei spielt oft der unerfüllte Kinderwunsch eine Rolle. Das Thema Social Freezing wird aber nur ganz selten angesprochen, das hat in den letzten Jahren auch nicht zugenommen“, sagt die Sozialarbeiterin Heike Veen. „Wir sprechen über die Chancen und Risiken, ohne eine positive oder negative Empfehlung je nach Alter der Frau zu geben. Die meisten haben sich bereits vorher informiert und kommen mit einer realistischen Einschätzung.“

Der hessische Landesverband der Beratungsorganisation Pro Familia hat eine Stellungnahme verfasst, der zufolge Social Freezing im Einzelfall eine Alternative sein könne zur Fremdeizellenspende, die in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern verboten ist. Gleichzeitig betont der Landesvorstand in einem Positionspapier: „Familienplanung sowie Schwangerschaft und Geburt werden zunehmend losgelöst von (partnerschaftlicher) Sexualität gesehen und erlebt. Pro Familia Hessen setzt sich dafür ein, dass Sexualität mit ihren drei Dimensionen Fortpflanzung, Lust und partnerschaftliche Intimität nicht (auf-)gespalten werden muss. Kryokonservierung von Eizellen löst weder das Problem der Partnersuche noch der Vereinbarkeit von Kindererziehung und beruflicher Tätigkeit und ist zudem nur für wenige, finanzkräftige Frauen und Paare zugänglich.“

Wie häufig Social Freezing in Deutschland genau in Anspruch genommen wird, ist unklar: Erst seit Kurzem werden in den 134 deutschen Kinderwunschzentren nach Angaben des Deutschen IVF-Registers solche Daten erhoben (Zahlen zur künstlichen Befruchtung auf www.deutsches-ivf-register.de). Für 2014 gehen Schätzungen von bis zu 1.000 Social-Freezing-Behandlungen aus. Bei einer Emnid-Umfrage sagten 21 Prozent der Befragten, dass sie sich vorstellen könnten, ein Angebot anzunehmen wie das von Apple oder Facebook.

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