NICHT ALLE WEGE DER GRÜNEN FÜHREN NACH JAMAIKA: Zauderer und Zocker
VON MICHA BRUMLIK
Die überregionale Presse sorgt sich: Wer oder was sind die Grünen, befinden sie sich in einer Identitätskrise, oder segeln sie nur nach Jamaika? Während Partei- und Fraktionsspitze im Bund umso lauter das Hohelied grüner Eigenständigkeit singen, wurden in Thüringen und im Saarland Faits accomplis geschaffen. Dort wird Jamaika, die schwarz-gelb-grüne Koalition, Wirklichkeit.
Der Europaabgeordnete Cohn-Bendit nannte Herbert Ulrich, der Jamaika an der Saar durchsetzte, einen „Mafioso“. Er meinte damit, dass Ulrich – wie früher in der Jungen Union üblich – seine Freunde aus der Nachbarschaft zur Parteibasis machte. Ulrich soll zudem auf unappetitliche Weise mit CDU und FDP nahestehenden Sponsoren vernetzt sein – früher hätte man „verfilzt“ gesagt. Weitaus begabtere PolitikerInnen der Grünen mussten in der Vergangenheit ob geringerer Verfehlungen zurücktreten.
Was kann man als Freund der Grünen da tun? Derzeit koalieren sie ausschließlich mit rechteren Parteien: in Hamburg mit der CDU, im Saarland mit CDU&FDP, während sie in Thüringen durch taktisches Zuwarten eine schwarz-rote Koalition in den Sattel hoben. Taktische Zauderer und machtlüsterne Zocker scheinen sich perfekt zu ergänzen: Während Katrin Göring-Eckardt, die in Erfurt die bundesweit erste grüne Ministerpräsidentin hätte werden können, lieber den Protestanten vorsitzt, strebte Ulrich an der Saar umso massiver in ein konservatives Bündnis. Das zu bemängeln heißt nicht, die Grünen in Gefangenschaft von SPD und Linkspartei zu drängen, wohl aber, ihre Beteuerungen, sie seien nach allen Seiten offen, ernst zu nehmen.
Nach dem ins Wasser der Bedeutungslosigkeit gefallenen Parteitag in Rostock war außer der Absicht, gegen die Verlängerung von AKW-Laufzeiten zu mobilisieren, und kindischen Ausfällen gegen die neue Regierung nichts zu hören. Es sei denn, dass manche angesichts der Bereitschaft der neuen Regierung, sich zu verschulden, den antikeynesianischen Sparkommissar gaben. Dass das Anti-AKW-Thema zwar noch aktuell, aber doch nur Teil einer weitaus größeren Problematik ist, wurde bisher verschlafen. Warum stellen sich die Grünen nicht als die, jawohl die (!) Klimaschutzpartei auf, anstatt dieses Feld der Kanzlerin oder aufrüttelnden Politologen wie Claus Leggewie und Harald Welzer zu überlassen? Und warum ist von einer ernsthaften Debatte über die andere Macht- und Gestaltungsoption, von Rot-Rot-Grün, weit und breit nichts zu hören? Keineswegs ist der Partei zu raten, diese Option bedingungslos anzustreben. Aber: Deren Vor- und Nachteile zu erörtern sollte man doch nicht nur Thüringer Pfarrern oder den Amigos vom Sankt Johanner Markt überlassen.
Als Wähler ist man derartiger Indolenz gegenüber ohnmächtig – mehr als seine Stimme hat man nicht. Daher: Meine werden die Grünen, die ich seit ihrem ersten Auftreten stets gewählt habe, so lange nicht mehr bekommen, bis nicht in irgendeinem Bundesland oder einer Stadt mit mindestens einer halben Million Einwohnern eine rot-rot-grüne Koalition regiert. Dann erst wäre die proklamierte Offenheit nach allen Seiten mehr als nur ein beruhigendes Mantra für alle, die mit den Grünen mehr verbinden als das Ende des aus demografischen Gründen ohnehin auslaufenden dreigliedrigen Schulsystems und folgenlose Bekenntnisse unzuständiger Landespolitiker gegen die Atomkraft.
Echte Offenheit muss sich übrigens auch in Hamburg und Saarbrücken schon vor weiteren Wahlen beweisen. Man darf gespannt sein, ob die grünen Koalitionäre in Hamburg und Saarbrücken Manns und Weibs genug sind, für ihre Länder im Bundesrat wenigstens Enthaltungen gegen Vorlagen der Bundesregierung durchzusetzen. Aber wie dem auch sei: Ohne – sofern vom Wähler ermöglicht – rot-rot-grüne Landesregierung keine Stimme mehr für die Grünen: weder in der Kommune noch im Land noch in vier Jahren im Bund.
■ Der Autor ist freier Publizist und Professor in Frankfurt am Main
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