: Allem Anfang wohnt ein Zauber inne
Oft aber auch ein Krampf. CHRISTINA KRETSCHMER und JUDITH LUIG im taz.mag-Baggertest, fotografiert von REINHARD KRAUSE
Der Welterklärer
Mehr als nur eine Geste ist der Welterklärer auch eine intellektuelle Körperfühlung. „Schau mal, die Wolke da drüben sieht aus wie eine Torte“ oder „Da, hinter dem blauen Haus, wohnte meine erste große Liebe“ oder „Ist Scharouns Bau nicht von einer bestechenden Klarheit?“.
Unschön beim Welterklärer ist, dass meist aus Gründen der Körpergröße die Stellung klare Geschlechterollen verlangt. Die Kleinere vorne, der Größere hinten. Anders als das vergleichbare Anschmiegen beim Billard- oder Golfspiellehren (bekannt aus Hollywood-Filmen) wird hier mehr Wert auf die geistige Aufnahmebereitschaft gelegt. Die Flirtmaßnahme empfiehlt sich vor allem für das Frühstadium, nicht jedoch für den ersten Schritt.
Die Mausifalle
Eine Hand links, eine Hand rechts, und fertig ist die Mausifalle. Man braucht allerdings eine Wand im Hintergrund.
Diese Baggergeste wird vor allem von jüngeren Flirtern mit viel Erfolg angewendet. Denn Gedränge – ein Faktor, der vor allem in Clubs und auf Schulfeten dazukommt – bringt die Geste zu ihrer Vollendung: Ein Schupser, und die Falle schnappt zu.
Darüber hinaus bietet die Position für den offensiven Flirter jede Menge Möglichkeiten für zufällige Körperkontakte. Zum Beispiel Ellbogenbeuge gegen Schulter oder aufgestelltes Knie gegen Oberschenkel (nicht in der Darstellung). Der Nachteil ist: Die Position des Angreifers lässt keinen Raum für unauffälligen Rückzug. Wer die Mausifalle aufstellt, legt die Karten auf den Tisch.
Der Selbstentblößer
Das Gefummel um den weiblichen oder männlichen Ausschnitt wirkt nur, wenn der Angespielte sich schon für einen gewissen Grad an Bewunderung bereit gezeigt hat. Ansonsten kann der Graben zwischen Ideal (Sophia Loren, Greta Garbo) und der Umsetzenden tödlich für die Erotik.
Auto-Ausziehen sendet einfache und deutliche Signale und bietet sich deswegen vor allem für simplere Opfer (oder für Menschen Hang zum Kino) an. Das Schlüsselbein und andere Stellen sollte man aber nur freilegen, wenn man einen bestimmten Voyeur im geistigen (nie im konkreten) Blick hat. Mit größerem Publikum ist die Inszenierung zu gewollt. Wegen der niedrigen Schwelle zur Peinlichkeit sparsam verwenden.
Der Haarstrich
Diese Geste spricht für bietet sich für verlegene Gesprächspausen an. Sie wird unter anderem durch die hingebungsvolle Haltung des Opfers – das oft auch bewusst die Strähne ins Gesicht fallen ließ – initiiert. Eine gewisse Nähe der Körper und Gemüter sollte bereits vorhanden sein.
Sobald die Hand einmal übers Ohr gestrichen ist, sind für beide Spieler weitere Schritte offen. Hinwendung und Augenaufschlag seitens des Geordneten oder weiteres Spiel mit den Haaren durch den Ordnenden.
Strähnestreichen ist nicht ganz ungefährlich. Die Geste hat etwas Archaisches. Haare aus dem Gesicht entfernen kann falsch angewendet väterlich/mütterlich wirken und rückt schnell in die Nähe von „mit Spucke wischen“.
Der Kinotrick
Schon seit den 50er-Jahren ein bewährtes und verlässliches Bagger-Manöver. Erst gähnen, dann strecken, dann die Arme strategisch günstig um die Angebetete drapieren. Besonders bei Kino- und Theaterbesuchen beliebt, da die erzwungene Nähe – und das Dunkel des Zuschauerraums – hier selbst Hasenfüße über sich hinauswachsen lässt.
Nur Menschen mit einem Herz aus Stein werden von solch rührender Naivität kalt gelassen. Ob es allerdings auch immer zu heißer Liebe führt? Im schlimmsten Fall kann es passieren, dass der so umgarnte potenzielle Partner möglicherweise in schallendes Gelächter ausbricht – die mühsam aufgebaute romantische Stimmung ist damit für die nächsten Stunden mit Sicherheit dahin.
Der Antaster
Manchmal braucht es nur wenige Quadratmillimeter Berührungsfläche, und alles ist gesagt. Wenn sich die Fingerspitzen zweier verwandter Seelen berühren, ist schon so mancher Blitz durch die Körper der Beteiligten gefahren.
Für die Zartbesaiteten unter uns ist der Herantaster ein sympathisch-schüchternes Verfahren, dem anderen zu signalisieren, dass man näherer Bekanntschaft nicht abgeneigt ist. Reagiert dieser nicht dementsprechend auf den Vorschlag, kann man die Fingerspitzen immer noch mit einer Entschuldigung aus der Affäre ziehen. Allerdings kann es passieren, dass robustere Naturen dieses Manöver gar nicht erst wahrnehmen.
Der Wegweiser
Hosenbund mit Händen markieren. Am besten noch mit fetter Gürtelschnalle. Im Italienischen heisst eine vergleichbare Handstellung: Welch Riesen-Testikel!
Eine bewährte Geste aus der Lotsen-Sprache: zielt direkt auf das vermeintlich wichtigste Verkaufsargument. Besonders geeignet für schummrig beleuchtete Etablissements, in denen die Werbung nicht plakativ genug sein kann; sehr zielorientiert und kurz angebunden.
Bei eingehender Untersuchung und näherer Bekanntschaft kann eine Enttäuschung für den anderen nicht ausgeschlossen werden. Insofern sollte man dieses Manöver nur verwenden, wenn man seine Versprechen hinterher auch einlösen kann.
Der Führer
Beim Gang durch die Menge kann man sich verlieren. Das wissen Führungspersönlichkeiten zu nutzen und steuern das vermeintlich schwächere Geschlecht am Ellenbogen durch gefährliche Untiefen.
Eine vordergründig unschuldige Geste, die jedoch in ihrer Aussagekraft nicht zu unterschätzen ist. Mit sehr wenig Aufwand kann so viel ausgesagt werden: Ich schütze dich, ich führe dich in den sicheren Hafen (siehe Fingerzeig), ich leite dich, und ich fasse dich gerade am Ellbogen an. Diese Geste kann aber von selbstbewussteren Persönlichkeiten als absolute Frechheit interpretiert und mit einer Abfuhr belohnt werden. Der Führer, die letzte Geste im Baggertest, kann auch die letzte Geste in einer Beziehung sein.
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