Thomas Mauch
Ausgehen und rumstehen
: Abstürzende Flügel, unerbittlich kreiselnder Sog

Da ist schon auch Gewalt im Spiel bei der Neuen Musik. Eine elementare Wucht. Erleben durfte man das am Sonntag ziemlich am Schluss des Ultraschall-Festivals mit einem abstürzenden Flügel.

Noch spektakulärer wäre diese Aktion natürlich gewesen, wenn dieser Flügel wirklich live auf den Boden des Konzertgeschehens, den Boulez-Saal, geknallt wäre. Da aber hätte wohl Hausherr Daniel Barenboim seine Einwände gehabt. Hätte ja noch mehr zu Bruch gehen können in dem Saal als nur das Klavier. Außerdem interessierte sich Komponist Simon Steen-Andersen nicht allein für das zerstörerische Werk. Er wollte wissen, was man mit so einem Instrument nach dem Fall noch machen kann. Bei seinem „Piano Concerto“ sah man also eine Videoeinspielung von dem Flügelsturz und wie Nicolas Hodges, der Solist der Aufführung, an dem derart „präparierten“ Klavier noch interessante Töne heraushämmert, das Hodges in seinem Livespiel an einem nicht lädierten Flügel kontrastierte. Dazu ein großes Orchester mit reichlich Tamtam.

Das hatte durchaus Schmackes und war irgendwie auch ein Witz. Vielleicht wollte man damit Stan Laurel und Oliver Hardy, den wirklichen Großmeistern unter den Klavierzerstörern, zuspielen.

So ein Zertrümmern ist jetzt natürlich nicht der neue Trend in der Neuen Musik. Auch hier ging es letztlich um Material- und Klanguntersuchungen. Wollte man wirklich Fingerzeige sehen bei dieser 20. Ausgabe des vom Deutschlandfunk Kultur und Kulturradio vom RBB gemeinsam verantworteten Festivals für Neue Musik, dann waren das doch Ensembles, die auf einigermaßen exzentrische Besetzungen verweisen konnten. Das Ensemble Lux: NM etwa mit Saxofon, Posaune, Akkordeon, Cello und Klavier. Oder das Ensemble Ascolta: Schlagzeug, E-Gitarrre, Cello, Trompete, Posaune, Klavier.

Neu muss die Neue Musik da schon deswegen werden, weil solche Ensembles eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sind. Eine Aufforderung an die Komponisten, erst mal überhaupt was zu schreiben, damit diese Ensembles was zu tun haben, weil sich im Backprogramm der Neuen Musik halt nichts für derlei eigenwillige Besetzungen findet.

Auch das erklärt die hohe Schlagzahl von 24 Ur- und Erstaufführungen bei dem Festival. Darunter etwa, Ascolta zugeeinigt, von Márton Illés „Ascolta-Rajzok“ mit einer hübschen Beschreibung von Flüchtigkeit. Und visuell bleibt das Stück in Erinnerung, weil man da im Radialsystem zwischendurch sehen durfte, wie gleich vier Männer in den Innereien eines Flügels wühlten.

Noch eindrücklicher: Ascoltas Aufführung von „Coming together“, dem Minimal-Music-Klassiker von Frederic Rzewski mit unerbittlich kreiselndem Sog. Man muss gar nicht wissen, dass Rzewski das 1971 mit Blick auf die berühmte Gefängnisrevolte in Attica im US-Bundesstaat New York schrieb, um eine Beklemmung zu spüren.

Und der Höhepunkt des diesjährigen Ultraschall-Jahrgangs war vielleicht gleich am Anfang mit einem weiteren Alten Meister der Neuen Musik zu hören, „Photoptosis“ von Bernd Alois Zimmermann, im Sendesaal des RBB mit dem Deutschen Symphonie-Orchester. Vor 50 Jahren geschrieben, weiter eine Trumpfkarte der Neuen Musik. Dass deren Klanguntersuchungen einen auch wirklich angehen. Ins Mark treffen. Träge Qual war da zu hören. Eine Lieblichkeit, die gar nicht wahr sein konnte. Und wieder verzweifeltes Gegen-die-Wand-Rennen.

Eigentlich Heavy Metal. Ohne Headbangen halt.