die nachricht
: SPD und Union einigen sich bei Familiennachzug

Auch Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus können wieder Angehörige nach Deutschland nachholen – aber nur 1.000 pro Monat. Mehr Gerichtsverfahren wahrscheinlich

Das Neue

Union und SPD haben sich beim Streitthema Familiennachzug von Flüchtlingen geeinigt. Ab August sollen auch Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus wieder Angehörige nach Deutschland nachholen dürfen. Allerdings will die künftige Koalition den Nachzug begrenzen: Nur 1.000 Menschen pro Monat sollen kommen. Es wären Ehepartner und Kinder von in Deutschland lebenden Flüchtlingen – oder Eltern von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Daneben soll eine schon bestehende Härtefallregelung gelten. Das geht aus einem Änderungsantrag der Fraktionen von Union und SPD hervor, der der taz vorliegt. Er soll einen von der Unions-Fraktion formulierten Gesetzentwurf ergänzen.

Der Bundestag soll das Paket schon am Donnerstag beschließen – eine Zustimmung mit den Stimmen der Großen Koalition in spe gilt als sicher. Damit ist ein entscheidender Streitpunkt in den laufenden Koalitionsverhandlungen vom Tisch. Die vorherige Koalition hatte die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte bis März dieses Jahres beschlossen. Die Union hatte auf eine Verlängerung der Aussetzung gedrängt, die SPD hatte sich dem verweigert.

Der Kontext

Rund 200.000 Menschen mit subsidiärem Schutzstatus lebten 2017 laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Deutschland. Darunter sind viele syrische Kriegsflüchtlinge. Die Forscher schätzen, dass sie 50.000 bis 60.000 nachzugsberechtigte Ehepartner und Kinder im Ausland haben, die nach Deutschland kommen möchten. Grundlage der Schätzung ist eine repräsentative Studie über die in Deutschland lebenden Geflüchteten. Die IAB-Forscher erhoben, wie viele Kinder sie haben, wo diese leben, wie alt sie sind – und vieles mehr. Aus den Daten errechneten sie die Familienstruktur und das Nachzugspotential.

Das Thema schwelt schon lange zwischen Union und SPD. Im Herbst 2015, als sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wollte die Union den Nachzug für subsidiär Geschützte stoppen, um Missmut in den eigenen Reihen zu bekämpfen. Dies betraf damals wenige Menschen, zum Beispiel solche, die vor einem Bürgerkrieg flohen – aber nicht politisch verfolgt wurden. Die SPD stimmte mit Blick auf die niedrigen Fallzahlen zu. Wenig später gab Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bekannt, dass künftig Syrer nur noch subsidiär geschützt werden sollten. Plötzlich galt die Aussetzung für viele. Die SPD schäumte. Sie machte dann zwar bei der Aussetzung für zwei Jahre mit. Aber gerade im linken Flügel wünschten sich viele eine Rückkehr zur großzügigen Regelung.

Die Reaktionen

Vertreter von Union und SPD lobten den Kompromiss, legten ihn aber sehr unterschiedlich aus. SPD-Chef Martin Schulz schrieb in einer Botschaft an die Parteimitglieder: „Die SPD hat sich mit einer guten Einigung beim Familiennachzug durchgesetzt.“ Er sprach von einer „deutlich weitergehenden Härtefallregelung“, wie vom Parteitag verlangt. Ein SPD-Parteitag hatte Mitte Januar Nachbesserungen beim zuvor verhandelten Sondierungspapier verlangt – darunter eben jene Härtefallregelung.

Schulz interpretiert die Einigung allerdings sehr im eigenen Sinne. Denn in dem Änderungsantrag ist nur von Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes die Rede, welcher unberührt bleiben solle. Er existiert schon länger und erlaubt die Aufnahme „aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen“. Darüber entscheiden in der Regel die Ausländerbehörden – und die Hürden sind hoch. Ende Dezember teilte das Auswärtige Amt mit, dass 2017 96 Visa in Härtefällen erteilt wurden

Was Schulz als „deutlich weitergehende“ Regelung darstellt, ist also ein alter, bisher kaum wirksamer Paragraf. Ob die Menschen, die über die Härtefallregelung kommen, in den 1.000er-Rahmen eingerechnet werden oder oben drauf kommen, blieb gestern offen.

Die Union liest den Deal ganz anders. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer schrieb auf Twitter: „Ab 1. August gibt es keinen generellen ­Anspruch mehr auf Familiennachzug bei Flüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus.“ Auch das ist irgendwie richtig. Einen eng begrenzten Nachzug kann man sicher nicht als „generellen Anspruch“ bezeichnen.

Die Konsequenz

Wer darf kommen? Wegen der unklaren Priorisierung könnte es nun zu mehr Gerichtsverfahren kommen. Im Dezember war nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios ein richtungsweisendes Urteil des Berliner Verwaltungsgericht rechtskräftig geworden. Das Gericht forderte das Auswärtige Amt auf, einem 16-jährigen syrischen Flüchtling mit einer schweren Traumatisierung den Nachzug seiner Eltern und Geschwister zu ermöglichen – obwohl er nur den subsidiären Status hatte. Die Richter begründeten das mit dem Kindeswohl, das durch das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und die UN-Flüchtlingskonvention geschützt sei. Ulrich Schulte