Kontemplation und rohe Energie

„Uncanny Valleys of a Possible Future“ ist der Titel der Gruppenausstellung im Kunstraum Kreuzberg am Mariannenplatz, die das Festival CTM flankiert. Es geht um digitale Trickfilme und kinetische Installationen

Beeindruckender Kabelsalat in der Installation „CellF“ im Kunstraum Kreuzberg Foto: Guy Ben Ari

Von Tilman Baumgärtel

Verdammte Ambivalenz. Einerseits ist die Welt derzeit im Aufruhr – so die Analyse und damit das Motto des CTM-Festivals 2018: „Turmoil“, eben Aufruhr, Tumult. Andererseits besteht anscheinend ein Wunsch, einem Dauerbombardement von Krisen und Exzessen, Überforderung und Dauerberieselung Inseln der Ruhe entgegenzusetzen. Seit 1999 präsentiert das CTM-Festival, das als Partyprogramm des Medienkunstfestivals Transmediale begann, aktuelle Trends der elektronischen Musik und geistesverwandte künstlerische Projekte aus dem Umfeld zeitgenössischer Musikkultur. 2018 geht es bei der Veranstaltung, die ihren Namen inzwischen zum Akronym CTM zusammen gekürzt hat, um jedwede Art experimenteller Musik, die in Clubnächten, Konzerten, Workshops, Ausstellungen und Podiumsdiskussionen thematisiert wird.

„Turmoil“, Aufruhr, herrscht dabei eigentlich immer. Bei der größten derartigen Veranstaltung im deutschsprachigen Raum konnte man sich in der Vergangenheit bei verschwitzten Partys und Konzerten von Avantgarde-Klassikern wie Charlemagne Palestine oder Pauline Oliveros in Aufruhrzustand versetzten lassen. Eröffnet wird das Spektakel traditionell mit einer Ausstellung, einer übersichtlichen Präsentation im Kulturraum Kreuzberg, die zuletzt die Ausstellung der Transmediale – dem Berliner Medienkunstfestival, das eigentlich zu derartigem berufen ist – immer wieder in den Schatten gestellt hat.

Kronzeugin des Tumults

In diesem Jahr tut die Kunst genau das, wozu die Kuratoren des CTM sie zur Kronzeugin berufen hat. Sie illustriert die Einerseits-andererseits-These des Festivals mit Werken, die eben genau diese Ambivalenz illustrieren: Einerseits Ruhe, Kontemplation und spirituelle Out-of-Body-Erfahrungen, andererseits die rohe Energie und direkte Erfahrung, wegen der das Publikum an solchen Veranstaltungen teilnimmt – um sie dortselbst mit der Smartphone-Kamera aufzunehmen und sie in die Mediasphäre von Twitter, Instagram und Snapchat zu schießen. Der Titel der Ausstellung: „Uncanny Valleys of a Possible Future“, wobei mit „Uncanny Valley“ der irritierende Zustand gemeint ist, wenn Simulationen der Wirklichkeit so nahekommen, dass man sich resigniert von ihnen abwendet – so wie etwa in dem digitalen Trickfilm „Geomancer“ von Lawrence Lek, der in einer von intelligenten Satelliten und Go-spielenden Computerprogrammen bevölkerten virtuellen Realität spielt und eine Traumsequenz enthält, die mit Hilfe eines neutralen Netzes gestaltet wurde.

Wenn es um rohe Energie geht, kann wohl nichts mit den elektrischen Funken mithalten, welche die Tesla-Spule in der Arbeit von Zorka Wollny and Andrzej Wasilewski spuckt. Einmal den Finger rein halten und man ist tot, möglicherweise wird das Werk darum in einem Käfig aus Metallstangen und Neon-Buchstaben gezeigt. Doch die Künstler haben den Starkstrom gezähmt und lassen ihn kurze Gesprächsfetzen als „Duel“ – so der Titel der Arbeit – wiedergeben.

Dass es auch mit weniger offensichtlich gefährlicher Technik geht, zeigt die kinetische Installation „Spiderlogic“ von Peter Fleming. Eine Leiter, eine Bierbank und andere Objekte hängen an dünnen Nylonfäden von der Decke und bewegen sich nach einer unersichtlichen Choreographie hin und her, als wollten sie den Ausstellungsbesuchern den Weg versperren oder sie belästigen. In Position gehalten werden sie scheinbar mit der Hilfe von Plastikcontainern, die mit einer farbigen Flüssigkeit gefüllt sind. Kommt die ganze Geschichte von der Decke, wenn einer dieser Container umfällt?

Der Wunsch nach Intensität ist auch Thema der Arbeit von Anne de Vries, die auf den ersten Blick wie ein Rave-Video aus den frühen Neunzigerjahren aussieht, bevor sie sich in tausende digitale Einzeltänzer zerlegt, die durch einen leeren Kosmos zu schweben scheinen. Dazu sind gelegentlich Hardfloor-Samples und philosophische Betrachtungen zu hören. Echt ist hier also rein gar nichts, dafür aber ist das Video umso heftiger.

Kommt die Geschichte von der Decke, wenn der Container umfällt?

Einen ähnlichen Reizüberflutungseffekt hat auch die Videoarbeit „Magma“ des ägyptischen Künstlers Ahmed El Ghazoly, der unter seinem Künstlernamen ZULI in einem engen Raum eine halbrunde Videoinstallation zeigt, die die Betrachter mit digital gestörten Filmen aus den Straßen von Kairo förmlich bombardiert.

Zum Durchknuddeln

Wem all das zu viel wird, kann sich in der Installation „The Physical Mind“ von Teun Vonk mal so richtig durchknuddeln lassen. Betrachter werden zu Nutzern der Arbeit, wenn sie sich zwischen zwei riesige, weiße, aufblasbare Kissen legen, die sich aufpumpen und ihn zwischen zwei Lagen herrlich weicher Druckluftblase festsetzen – Benutzer der Arbeit berichten von umgehender Tiefenentspannung und darauf folgender außerkörperliche Erfahrung.Zum CTM gehört auch die gigantische Lichtinstallation „Skalar“ von dem Künstler Christopher Bauder und dem Techno-Produzenten Kangding Ray, die bis Ende Februar im Kraftwerk an der Köpenicker Straße gezeigt wird. Die Installation füllt die gesamte, riesige Halle mit Licht und Klang und soll dem „Publikum eine jenseitig Erfahrung“ bescheren.

„Uncanny Valleys of a Possible Future“ bis 2. April im Kunstraum Kreuzberg