die dritte meinung: Acht Jahre nach dem Canisius-Fall fehlt es an Schutz vor Missbrauch, sagt der Beauftragte Rörig
Johannes-Wilhelm Rörig ist der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Erstmals wurde ihm wurde das Amt zum 1. Dezember 2011 übertragen.
Durch Beschluss des Bundeskabinetts vom 26. März 2014 wurde er zum 1. April 2014 für die Dauer von fünf Jahren erneut berufen.
Am 28. Januar 2010 berichtete die Berliner Morgenpost erstmals vom Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg und löste damit den sogenannten Missbrauchsskandal in Deutschland aus. Die Politik reagierte 2010 mit der Einrichtung eines Runden Tischs „Sexueller Kindesmissbrauch“ und meinem Amt.
Was ist seither passiert? Der eigentliche Skandal liegt wohl vor allem darin, dass die Diskrepanz zwischen dem, was wir tun könnten, und dem, was tatsächlich getan wird, in Deutschland noch immer groß ist.
Aktuell erschüttert uns der Fall des neunjährigen Jungen aus der Nähe von Freiburg, der über Jahre schwerstem sexuellem Missbrauch ausgesetzt war. Fälle wie dieser sind nur die Spitze des Eisbergs, zeigen aber exemplarisch, mit welcher Brutalität, Gewalt und Empathielosigkeit Erwachsene – tagtäglich und überall – Kinder sexuell missbrauchen. Der Fall aus Freiburg ist besonders schlimm, weil er einen tiefen Blick in eben die Abgründe öffnet, in die wir am liebsten nicht hineinsehen wollen: Missbrauch findet vor allem dort statt, wo Kinder am meisten Schutz finden sollten – in der Familie.
Das zeigt: Der Schutz von Minderjährigen muss gelebter Alltag werden. Politik muss konsequent und systematisch in den Kampf gegen Missbrauch investieren. Die künftige Koalition bitte ich daher: Verständigen Sie sich auf ein Kindesmissbrauchsbekämpfungsgesetz, auf eine bundesweite Aufklärungskampagne und die weiteren Empfehlungen aus meinem Programm „Jetzt handeln“ vom Oktober 2017. Der Flickenteppich befristeter Minimallösungen bringt uns im Kampf gegen Missbrauch nicht weiter.
Auch im Grundgesetz verankerte Kinderrechte allein werden den Kinderschutz nicht verbessern. Nur durch neue gesetzliche Strukturen und ein dauerhaftes Investment in Schutz und Hilfen können wir sexuelle Gewalt gegen Minderjährige eindämmen. Wir müssen jetzt alle Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen. Kein Täter und keine Täterin darf sich mehr sicher fühlen.
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