piwik no script img

Helden der BewegungFrederic Valin Steffen Weinhold fragt sich, wo das Trampolin steht

Er wirkt klein und zierlich. Das ist eine optische Täuschung. Aber er sieht sich halt auch immer so sorgenvoll um, als könnte er demnächst demaskiert werden, als stimme irgendetwas nicht. Es ist eine gewisse Unruhe in seinem Blick, die halb melancholisch, halb skeptisch wirkt. Es ist etwas Kindliches darin, etwas Überfordertes und Ernsthaftes, das man im Profifußball so gut wie gar nicht mehr sieht.

Er spielt auch nicht Fußball, er spielt Handball: Steffen Weinhold. Und er ist alles andere als klein und zierlich, 191 Zentimeter misst er, 94 Kilogramm schwer. Dass er im Fernsehen klein und zierlich wirkt, liegt an den Leuten um ihn herum: die sind alle noch größer und breiter; Paul Drux, der es hinbekommt, immer gleichzeitig frisch rasiert und verschlafen auszusehen; der vogelscheuchendürre, grazile Henrik Pekeler; Patrick Wiencek, den man Bambam ruft, und auch Andreas Wolf, der aussieht wie ein riesiger, auf dem Dachboden vergessener Rummelteddy. Staub rieselt aus seiner Nase, wenn er dem Gegner ins Gesicht guckt: Der Ehrgeiz presst es aus ihm raus.

Till Reiners sagte einmal, er glaube nicht, dass Angela Merkel sich privat für Politik interessiere; Steffen Weinhold jedenfalls interessiert sich privat nicht sonderlich für Handball. Er selbst stehe ja ohnehin zwei bis drei Mal die Woche auf der Platte, da müsse er privat nicht auch noch Spiele gucken; und wer jetzt wo wie nach Spanien oder zu Veszprem wechselt, das juckt ihn auch nicht. Und als er 2012 in Flensburg unterschrieb, fragte man ihn, worauf er sich am meisten freue. Aufs Fahrradfahren, sagte er. Die Trainingshalle liege so günstig nah an der Wohnung.

Handball tut weh, und wenn man so klein ist wie Steffen Weinhold groß, dann doppelt. Da kann man die Gegner nicht überspringen, da muss man mittendurch. Ständig rennt man mit der Nase gegen Elle und Speiche von irgendwelchen Typen mit zwei Meter Brustumfang, und natürlich muss man die Augen offen behalten, sonst weiß man ja nicht, wo der Ball hingehört. In den unteren Ligen sieht man noch heute Leute, denen beim Abschluss in den Wurf­arm gegriffen wurde, nonchalant zum Tor marschieren und sich am Pfosten das ausgekugelte Schultergelenk wieder hineinwummsen. An jedem Stammtisch dieser Republik ist mindestens schon einmal der Satz gefallen, Fußballer seien alles Memmen, man solle sich mal die ganzen Kerle angucken, die aus Grobholz geschnitzten.

Historisch ist das ein Missverständnis. Handball ist ein später Sport. Er startete als zivilisierte Alternative zum martialischen Fußball, und zivilisiert heißt hier: feminisiert. Während des Ersten Weltkriegs sollten sich die Fabrikarbeiterinnen bei Siemens fit halten, damit es beim Nachschub der Kriegsgüter nicht zu noch mehr Engpässen kam als ohnehin. Es wurden viele Spiele entwickelt, der Krieg war eine Blütezeit des Sports, man adaptierte das römische Tamburinball, in Braunschweig wurde der Raffball erfunden, und 1917 fand auch das erste offizielle Handballspiel statt.

Es gibt noch eine weitere Geschichte, die in einem Steffen-Weinhold-Artikel nicht fehlen darf: wie er zu seinem Sport kam. Natürlich begann Weinhold, der in Mittelfranken aufwuchs, mit Fußball, bis eines Tages das Training ausfiel. Also ging er mit seiner Schwester zum Handball; und weil da die ganze Zeit auf Trampolinen herumgesprungen wurde, statt blöd um den Platz gerannt und um Hütchen gedribbelt, blieb er lieber da.

Vielleicht guckt er deswegen immer so skeptisch: weil er noch weiß, wie er angefangen hat. Jetzt, einige Bänderrisse und Knochenbrüche später, fragt er sich vielleicht, wie es dazu kommen konnte; und wo zur Hölle eigentlich das Trampolin steht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen