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Gemeinsames Bauchgefühl

Bei den Konzerten von Hans-Joachim Roedelius und Arnold Kasar wird vor allem viel improvisiert. Wenn sie am kommenden Sonntag in der Volksbühne zu Gast sind, bildet ihr neues Projekt „Einfluss“ lediglich den Rahmen

Von Stephanie Grimm

Zwischen Hans-Joachim Roedelius und Arnold Kasar liegen einige Generationen Musikschaffen, in Lebensalter ausgedrückt fast vier Jahrzehnte: Der 83-jährige Roedelius brachte mit den Berliner Bands Cluster und Harmonia in den frühen 1970er Jahren ins Rollen, was man bald Krautrock nennen sollte – ein fast unzulässig vereinfachender Begriff, schließlich wurde von den kühlen Elektronikern von Kraftwerk über den avantgardistischen Sound von Can bis zu esoterischen Klangwelten à la Tangerine Dream alles Mögliche in die Schublade gepackt. Als Klammer ließe sich vielleicht festhalten: Bei Krautrock handelt es sich um Musik aus Deutschland, deren Schöpfer elektronischen Experimenten zugeneigt waren.

Heute blickt Roedelius, der die Musik nie als alleiniges Standbein sah – er arbeitete als Physiotherapeut und schrieb zudem Lyrik – auf über hundert Veröffentlichungen zurück. Sein erstes Soloalbum veröffentlichte er vor 40 Jahren nach seinem Umzug nach Baden (bei Wien), seither spielte das Klavier bei ihm eine immer größere Rolle. Obwohl er Autodidakt ist und kaum Noten lesen kann, hat er sich dem Instrument nicht zuletzt zugewendet, weil ihn die klanglichen Experimente seiner früheren Schaffensphasen erschöpft hatten. „Wie die elektronischen Klänge, all diese Geräusche psychoakustisch auf Körper und Seele wirken, ist ein großes Thema für die Wissenschaft“, sagt er heute.

Sein Mitstreiter Arnold Kasar hat ebenfalls zunächst elektronische Musik gemacht, obwohl er von Jugend an eine klassische Ausbildung hatte und Klavier sogar studiert hat. In den Nullerjahren war er beim Berliner Label Sonar Kollektiv aktiv, bewegte sich in der Schnittmenge von fluffigem Jazz und elektronischer Tanzmusik. Er arbeitete mit Friedrich Liechtenstein, mit dem er übrigens bald wieder auf Tour geht, der Chanson-Band Nylon und dem Nu-Jazz-Projekt Micatone.

Und obwohl die beiden so unterschiedlich sozialisiert sind, verbindet sie eine Bereitschaft zu musikalischer Grenzgängerei und mittlerweile auch eine enge Freundschaft. Angestoßen hat den Kontakt ihr vormals gemeinsames Label Fabrique Records, es entstand ein reger Austausch.

Letztes Jahr haben sie das gemeinsame Album „Einfluss“ (Deutsche Grammophon/Universal Music) herausgebracht, eine Sammlung unaufgeregter, ambientartiger, im besten Sinne schlichter Klavierstücke. Den Titel hat sich übrigens Roedelius ausgedacht. Ein bisschen Augenzwinkern schwang da sicher mit. Denn Einfluss, gar ein Terrain zu markieren, ist wohl kaum sein Anliegen. Dazu ist er viel zu sehr Klangforscher. Eher geht es ihm darum, die Dinge im Fluss zu halten (ein Luftbild von Wasserwegen ziert dementsprechend das Albumcover). „Es gibt keine Egomanie bei ihm“, stellte Kasar bewundernd fest.

Neben ihrer Affinität zum Klavier, mit der sie nah am Zeitgeist sind – Klaviermusik an der Schnittstelle von Klassik und Pop boomt schließlich – verbindet die beiden vor allem eins: ihr Bauchgefühl. Das ist die Basis ihrer Zusammenarbeit und davon ist auch im Interview (zusammengeschaltet sind sie über Skype) immer wieder die Rede. Und von geteilten Werten, von gegenseitigem Respekt und Vertrauen.

Bauchgefühl und Vertrauen brauchen sie nicht zuletzt für ihre Konzerte. Da wird nämlich vor allem improvisiert, das Album liefert allenfalls den groben Rahmen. Sie sitzen Rücken an Rücken und müssen einander genau zuhören. Mal führt der eine, dann der andere.

Ausdruck für das Intuitive

Für Roedelius war Improvisation und der Versuch, einen Ausdruck für das Intuitive zu finden, eine zentrale Motivation, Musik zu machen, schon im Westberlin der späten 1960er Jahre. Damals mischte er bei einer Gruppe namens Human Being mit: „Wir haben versucht, neue Arten des Musikmachens zu erfinden.“ Das habe ihn nie losgelassen, erzählt er.

Kasar dagegen hat das Improvisieren für sich wiederentdeckt, nachdem er jahrelang Musik am Computer gemacht hat: „Tatsächlich habe ich schon als Jugendlicher improvisiert, ohne zu wissen, dass das eine große Idee sein kann.“

Der Ansatz bei der Musik, dem er sich dann aber erst einmal zuwandte, war dann ein anderer. Klänge wurden am Rechner designt und ausführlich nachbearbeitet. „Irgendwann wurde ich dessen müde – auch weil ich gemerkt habe, dass etwas aus dem Moment Entstandenes eine ähnliche Wertigkeit habe kann.“ Natürlich, so sagt er, komme nicht immer etwas von Relevanz dabei heraus. Doch wenn es gelingt, sei es großartig.

Roedelius erklärt, wie befriedigend es ist, das Publikum an dem Prozess teilhaben zu lassen: „Eine schwere Aufgabe, aber sie macht viel Spaß.“ Und beide schwärmen von dem Auftritt, den sie Anfang Dezember in der Elbphilharmonie hatten, davon, wie das Publikum „dabei“ war und sie über manche Unsicherheit getragen hat.

Kasar spricht von der „prickelnden Erfahrung“, in einen solchen Raum hineinzugehen und „nicht zu wissen, was ich spielen werde“. Sie schätzen auch die Vergänglichkeit einer solchen Performance und den Umstand, dass am Ende des Abends nur das Publikum dabei war. „Die Musik soll nur kurz wie eine Skulptur im Raum stehen“, sagt Kasar. Und liefert damit zugleich eine naheliegende Antwort auf die Frage, warum Livemusik im Zeitalter endloser digitaler Reproduzierbarkeit wieder so attraktiv ist. Es ist wohl einfach auch die Flüchtigkeit des perfekten Moments.

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