Aurel Scheibler: The Great Society: Die neusachliche Historienmalerei der Alice Neel
In der Porträtmalerei kann der zeitgeistgesättigten Brillanz von Alice Neel vielleicht gerade noch David Hockney das Wasser reichen. Das ist derzeit wieder einmal – in Deutschland freilich zum ersten Mal in einer großen Schau – in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Glücklich sind die Berliner dran, denn hier zeigt Aurel Scheibler nun schon die dritte Einzelausstellung der 1984 in New York verstorbenen Künstlerin. Gerade im Vergleich mit Hamburg wird deutlich, dass Scheibler absolut starke, obwohl eher unbekannte Bilder aus der Zeit von 1933 bis 1965 zeigt. 65 ist das Jahr, aus dem das Bild „The Great Society“ stammt, das seinen Titel dem sozialen Reformprogramm Lyndon B. Johnsons verdankt, einer Art Fortführung von Roosevelts New- Deal-Beschäftigungsprogramm. Dank ihrer Förderung durch dieses entdeckt Neel ab den 30er Jahren die Straßen und Menschen in Spanish Harlem. Sie, die ihre Malerei als eine moderne Art zeitgenössischer Historienmalerei begriff, sieht – in einem geradezu neusachlichen malerischen Duktus – eine Stadt, die noch immer im Griff der Depression ist. Den armen, arbeitslosen Menschen in den Straßen von Manhattan setzt sie dann auch mal Totenköpfe auf. Und dann marschiert die kommunistische Partei auf und ein Demonstrationsplakat klagt an, dass die Nazis Juden töten. Aber weil das die Kommunisten sagen, interessiert es niemanden. Von Sid Gotcliffe, einem walisischen Schriftsteller, der das Plakat hält, hat Neel auch sein Porträt gemalt, mit dem ihr typischen freiem Pinselstrich, der aber so bestimmt ihr Gegenüber festhält, dass man beim Betrachten das Gefühl hat, eine neue Bekanntschaft zu machen. wbg
Bis 3. 2., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Schöneberger Ufer 71
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