: Das wird das Jahr, das wird (2018)
Der FC Bayern mit Bulle Roth gegen Red Bull, Rekordolympionikin Claudia Pechstein ganz allein im Team vor dem Kadi, ein deutscher Fußballweltmeistertrainer namens Jupp und jede Menge Olympiasieger aus Neutralesien
Von Bernd Müllender
München, 10. Januar. Der Retrokurs beim FC Ruhmreich geht weiter: Nach Heynckes, dem Adduktorenstreichler Müller-Wohlfahrt und dem neuen Online-Wart Katsche („Kiosk“) Schwarzenbeck wird Gerd Müller („Bum“) Leiter des neuen Seniorenheims an der Säbener Straße. Mit der Ernennung zum „Ehren-Greenkeeper von Fröttmaning“ sieht Loddamadäus „einen Lebensdraum erfüllt“. Uli Hoeneß stellt Weiterungen der Nostalgiekampagne in Aussicht: „Wir transferieren alle unsere Vergangenheiten in die Gegenwart.“
Pyeongchang, 22. Februar. Euphorie in Südkorea um Eisschnelllauf-Seniorin Claudia Pechstein, die bei ihrer siebten Olympiateilnahme mangels wettbewerbsfähiger Kolleginnen im Team das Dreier-Verfolgungsrennen allein bestreitet – und gewinnt. Das IOC weigert sich allerdings, ihr drei Goldmedaillen umzuhängen. „Jetzt geht es wieder vor den Kadi“, so die gerichtsnotorische Berliner Nichtdoperin an ihrem 46. Geburtstag. „Bis Olympia 2022 will ich geklärt sehen, ob ich Titelverteidigerin bin oder Titelverteidigerinnen.“
Pyeongchang, 26. Februar. Neutralien ist der klare Sieger des olympischen Medaillenspiegels. Das Nichtland unter IOC-Flagge, zu dem die russischen Aktiven und etliche andere kurzfristige Dopinglaboropfer gehören, gewinnt die meisten Metallplatten. „Damit ist der olympische Nationalismus besiegt“, freut sich Ringeherr Thomas Bach (Bundesrepublik Neutralesien). Gleichzeitig entstehen neue Medaillenspiegel – nach Geschlechtern, nach Sponsoren und chemischen Wirkstoffen. Der jugendpolitische Sprecher der AfD, Alexander Gauland, verbreitet seine Deutschblut-Tabelle „Blondgold“. Bach begeistert: „So hat jeder was Eigenes. Die Jugend der Welt erfindet sich neu.“
München, 31. März. Endlich Märzmeister. Der FC Maßallerdinge feiert die früheste Meisterschaft aller Zeiten – durch ein leichtes 4:0 gegen Abstiegskandidat Dortmund. Dessen fünfter Saisoncoach (nach Bosz, Stöger, Maslo, Beate Rehhagel) Erich Ribbeck (80, schon 84/85 BVB-Trainer) verkündet zum Einstand seine Osterbotschaft: „Wir hatten relativ absolut keine realistische Chance nicht nutzen können, auch wenn wir sie theoretisch in der Praxis gehabt hätten.“
Pjöngjang, 28. April. Über zwei Monate nach Ende der Winterspiele in Pyeongchang und langem diplomatischem Tauziehen (nicht olympisch) sind die verschwundenen deutschen Funktionäre aus Nordkorea heimgekehrt. „Wir hatten wohl falsche Koordinaten eingegeben oder es war ein Schreibfehler“, so der Chef de Falschmission, Dirk Schimmelpfennig. Eine gute Botschaft bringt er mit: „Die Arbeit im Straflager war auszuhalten. Die Raketen aus Pappmaschee sind nicht so schwer zu tragen.“
München, 30. April. Mit Retro in die Moderne: Der FC Bayern platziert seinen Exspieler Bulle Roth (72) im wachsenden Management des Immer-Champions. Aufgabe: strategischer Gegenspieler der Rotbullen aus Leipzig. „Red Bull ist eh nur ein chemisches Imitat unseres Kraft-Originals“, sagt Uli Hoeneß und bestätigt: Ja, die frappierende äußerliche Ähnlichkeit von Brauseboss Dietrich Mateschitz mit Roth sei ein zusätzlicher Aspekt der Zermürbungsattacke.
Köln, 13. Mai. Am Tag nach dem Abstieg aus der ersten Fußball-Bundesliga ist das Müngersdorfer Stadion bereits ein Jahr vor der Wiederaufstiegsfeierlichkeiten ausverkauft und alle Plätze in den Brauhäusern der Stadt zwei Wochen lang reserviert. Vereinsreliquie Lukas Podolski („Isch tu alles für dä Effzeh“) übernimmt ab 2019 das Ehrenamt als Maskottchen Prinz Hennes IX.
Wolfsburg, 22. Mai. Der VfL muss wieder in die Relegation, überlebt gegen Düsseldorf aber knapp. Die Folgen: Bayern München muss eine Viertelmillion Euro Nachablöse aus der Portozinseszinskasse an die Fortuna zahlen – für die Abwerbung des Cotrainers Peter Hermann im Herbst. Und Relegationsspezialist Wolfsburg heißt jetzt ehrenvoll „der neue HSV“. Der HSV selbst wäre gerne der alte HSV geblieben, ist aber als 17. neuer Zweitligist.
Kiew, 26. Mai. Der FC Bayern gewinnt die Champions League kampflos. Gegner Manchester City hatte „die weite, weite Reise bis in das Kriegsgebiet fast hinter dem Ural für nicht hinnehmbar“ erklärt: „Wir haben sehr, sehr, sehr sensible Spieler“, so Trainer Pep Pep Pep Guardiola. Citys Halbfinalgegner Real Madrid steht seit den beiden 0:5-Niederlagen mit einer Jugendmannschaft im Verdacht, die beiden Spiele aus Angst vor der Bestia Negra aus München nicht mit hinreichendem Ernst gespielt zu haben. Real weist das weit von sich: „Hinter solchen Gerüchten stecken die bösartigen katalanischen Geheimdienste.“
Calaveras County, 31. Mai. Bei der alljährlichen WM im Frösche-Weitsprung in Kalifornien stellt Slimy (4) aus dem Hidden Valley in den Santa Monica Mountains mit 2,35 Metern ohne Anlauf einen neuen Fabel-Weltrekord auf und gewinnt den Mark-Twain-Katapult-Award. Twain hatte mit seiner Kurzgeschichte „The Celebrated Jumping Frog of Calaveras County“ das Event ausgelöst (ausgetragen seit 1928). Verglichen mit der Körperlänge müssten Menschen über 50 Meter weit springen. Derzeit liegt der Weltrekord bei dürftigen 8,95 Metern (Slimys Landsmann Mike Powell 1991, mit Anlauf).
Landsberg am Lech, 5. Juni. Nur eine Woche nach seiner Inhaftierung im Heimatgefängnis des FC Bayern wegen „Bestechlichkeit und Betrug am Fußballvolk 2006 in einem besonders heimtückischen Fall“ wird Franz Beckenbauer zum Compliance-Beauftragten des Klubs ernannt. „Eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit“, so der bewährte Uli Hoeneß. „Mit Resozialisierungsprogrammen haben wir als gesellschaftlich engagierter Klub ja Routine.“
Moskau/Rom, 15. Juni. Die Fußball-WM beginnt und Italien versinkt in orientierungslose Trauer. „Auch andere Länder“, tröstet Staatspräsident Berlusconi, „haben Putins WM boykottiert.“ Und er zählt auf: „Zum Beispiel Holland, Österreich, Österreich-Ungarn, unsere amici integrali aus San Marino, Togo, Tonga, Bunga, Bunga-Bunga und sogar die Sowjetunion, die ja in ihrer Zukunft hätte antreten können.“ Jürgen Sparwasser aus Halberstadt, WM-Torschütze für sein Halbland 1974 gegen die BRD in Hamburg, trübsalt: „Und die DDR hat es auch wieder nicht geschafft.“
Rostow am Don, 2. Juli. Geheimfavorit Belgien scheitert erneut kläglich und früh (Achtelfinale 0:3 gegen Kolumbien). Kevin de Bruyne weint, der König tritt zurück, der Brüsseler Satanistenbund schließt die Roten Teufel „wegen nachgewiesener Unfähigkeit“ aus. Immerhin lobt der Internationale Bund der Leibchen-Designer, das Land verdiene „erneut den Lagerfeld-Award für die hässlichsten Trikots“.
Moskau, 15. Juli. Und am Ende gewinnt immer Deutschland, diesmal erneut den WM-Titel. DFB-Cheftrainer Jupp Heynckes (73,18), der kurzfristig den verletzten Joachim Löw (Stirnhaarverwirbelung) in Russland vertrat, freut sich altersmild: „Bürgerschaftliches Engagement ist für Senioren doch eine Selbstverständlichkeit.“ Katar 2022 schließt er allerdings kategorisch aus. „Da müssen jüngere Alte ran.“
Rottach-Egern, 11. August. Bayern-Chefcoach Thomas Tuchel geht im Sommertraingslager neue Wege. Die vor Titelroutinen gelangweilte Mannschaft soll mit neuen Retro-Trainingsübungen belustigt und angestachelt werden: „Heute, an Turnvater Jahns Geburtstag, fangen wir an mit Keulenschwingen, Einarm-Liegestützen und Völkerballturnieren.“ Tuchel nennt die Trainingslehre minus 4.0 „kulturhistorisch hip“. „Hipp, hipp, hurra!“, rufen die Spieler im Chor. Eifrig dabei sind auch die Cotrainer Nagelsmann, Hasenhüttl, Kovac, Hecking und Tedesco. „Die ärgern uns mit ihren Teams nicht mehr“, so der honorige Sportdirektor Hasan Salihamidzic in seiner ersten Wortmeldung des Jahres.
Paris, 30. September. Bei Europas spektakulärem Sieg im Ryder Cup der Golfer gegen die USA erzielt Xander Schauffele den entscheidenden Sieg. Der junge Mann, eben noch shooting star im US-Golf, hatte sich als Enkel des Nachkriegspräsidenten der Stuttgarter Kickers Richard Schauffele kurzfristig ins Großvaterland eineuropäisieren lassen. Tiger Woods, frisch revitalisiert, geht derweil unter. Seit 20 Jahren hat er eine verheerende Ryder-Cup-Mannschaftsbilanz und holt auch dieses Mal in seinen fünf Spielen nur zwei Remis. „Merci, le tigre des forets blancs“, namenswitzeln die Franzosen: Danke, Weichholztiger.
Washington, 9. November. Stahltiger Donald Trump, zunehmend dement, ist zwei Jahre nach der Wahl immer noch Präsident. „Eine große sportliche Ausdauerleistung“ meint die Hetzer-Seite Breitbart und spricht vom „Iron Man der Politik“. Der Geistesgreis hat den Namen seines Landes vergessen und ruft immer „Erica First“, kaum dass er eine Frau zum Begrapschen wittert. Er freue sich, so Trump, dass „zur Würdigung meines großen Ehrentages die Aktiven in allen Sportarten heute auf die Knie gefallen sind: „Fantastic job. Gute Leute.“
München, 24. November. Lodenkalle K.-H. Rummenigge spricht am 13. Spieltag von der „sozialen Verantwortung des FC Bayern gegenüber den Jahreszeiten“: Endlich einmal sind seine Sowieso-Champions schon früh im meteorologischen Herbst Herbstmeister geworden. „Und ich verspreche euch“, ruft Jupp Heynckes, seit Sommer Seelenbevollmächtigter des Klubs, den Fans zu: „Nächstes Jahr holen wir schon zu Fasching den Titel. Oder schon zu Karneval.“
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