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Wunsch und WirklichkeitIhr Kinderlein kommet

Die Zahl der Paare, die darauf setzen, steigt. Doch der Erfolg einer künstlichen Befruchtung ist nicht garantiert – und sie hat Auswirkungen, von denen die Betroffenen nicht immer wissen.

Da lacht der Schöpfer: Das erste Retortenbaby der Welt, Louise Joy Brown, am 7. September 1979 in einer Fernsehshow, im Hintergrund der Arzt Pierre Soupart. Foto: dpa

Hamburg taz | Als Louise Joy Brown im Sommer 1978 in England geboren wurde, bekam sie so viel mediale Aufmerksamkeit wie sonst kaum ein Baby zuvor. Sie war das erste im Reagenzglas entstandene Kind. Was damals eine medizinische Sensation war, ist heute Alltag in den Kinderwunschkliniken. Weltweit sind bisher mehr als fünf Millionen Kinder auf diese Weise entstanden.

In Deutschland sind die Behandlungszahlen seit Jahren steigend. Statistisch gesehen sitzt in jeder größeren Schulklasse ein Kind, das durch künstliche Befruchtung entstanden ist. Über 130 Kinderwunschkliniken gibt es im Bundesgebiet, allein sechs in Hamburg.

Von ihren Internetseiten lächeln gesunde, pausbackige Babys. Geworben wird mit überdurchschnittlichen Erfolgsraten, Spezialisten mit reichlich Erfahrung und individueller Betreuung „von Anfang an bis zum Happy End“. Es ist ein Buhlen um Kund*Innen. Die Kund*Innen sind Paare, die oft einen langen Leidensweg hinter sich haben. Wenn es mit dem Wunschkind nicht klappen will, weicht die Hoffnung schnell der Verzweiflung.

Selber schuld?

Die Frauen, die sich 2016 einer Kinderwunschbehandlung unterzogen, waren durchschnittlich 35,5 Jahre alt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das Alter noch einmal gestiegen. Sind die Frauen also selber schuld, weil sie sich zu spät für ein Kind entscheiden? Schließlich nimmt die Fruchtbarkeit einer Frau ab dem 30. Lebensjahr kontinuierlich ab. Dennoch erwecken prominente Frauen über 40, die mit dickem Bauch von den Hochglanzmagazinen lächeln, den Eindruck, dass mit medizinischer Hilfe heutzutage alles möglich sei

Doch abgesehen davon, dass viele Frauen diese Fakten nicht kennen, wäre das zu einfach gedacht. Unfruchtbarkeit betrifft nicht nur junge Frauen unter 30, die von Eileiter- und Gebärmuttererkrankungen und hormonellen Störungen betroffen sind, sondern auch Männer in den 20ern.

Die moderne Reproduktionsmedizin bietet verschiedene Möglichkeiten, damit sich Paare den Wunsch vom eigenen Kind erfüllen können. Welche Methode gewählt wird, ist abhängig von der Ursache für die ungewollte Kinderlosigkeit. Trotz der ausgefeilten Technik kann der Weg zum „Happy End“ lang sein. Oft durchläuft eine Frau mehr als einen Behandlungszyklus. Eine Garantie für das ersehnte Kind gibt es trotzdem nicht. Die Schwangerschaftsrate variiert je nach Behandlungsmethode um die 30 Prozent.

Mehrmals täglich müssen sich die Frauen Hormone spritzen, damit sie genug Eizellen produzieren, die dann wiederum unter Narkose abgesaugt werden

Und ein positiver Schwangerschaftstest heißt nicht, dass auch ein Kind geboren wird. Die Rate der Fehlgeburten liegt konstant bei 20 Prozent. Die Zahlen sind jedoch wiederum abhängig vom Alter der Frau. Mit Blick auf einen sogenannten Embryotransfer bekommen 27 Prozent der 35-jährigen Frauen ein Kind. Bei einer 40-jährigen Frau liegt die Geburtenrate nur noch bei 15 Prozent.

Die Zahlen verdeutlichen den enormen psychischen Druck, der auf Paaren lastet, die sich zu einer Kinderwunschbehandlung entscheiden. Es ist eine Zeit zwischen Hoffen und Bangen, eine emotionale Herausforderung, auch für die Beziehung der Paare. Einige Kinderwunschkliniken bieten deshalb auf Wunsch Einzel- oder Gruppengespräche mit Psychotherapeut*Innen an. Doch die Hemmschwelle, solche Angebote in Anspruch zu nehmen, ist hoch. Hinzu kommen eventuell zusätzliche Kosten, die die ohnehin schon finanziell belasteten Paare vom Weg zum Therapeuten abhalten.

Kein Spaziergang

Auch für den Körper ist der Weg zum Wunschkind kein Spaziergang. Mehrmals täglich müssen sich die Frauen Hormone spritzen, damit sie genug Eizellen produzieren, die dann wiederum unter Narkose operativ abgesaugt werden, um sie im Reagenzglas zu befruchten. Normalerweise produziert eine Frau pro Zyklus eine Eizelle. In der Kinderwunschbehandlung wird bei ungefähr zehn Eizellen von einem guten Ergebnis gesprochen. Schwerwiegende Komplikationen bei den Eingriffen oder der Hormonbehandlung sind zwar selten, können bei einer Behandlung mit Medikamenten und Operationen aber nie ausgeschlossen werden.

Risiken gibt es auch für die künstlich entstandenen Kinder. Es wird davon ausgegangen, dass sie ein leicht erhöhtes Risiko für angeborene Fehlbildungen haben. Hinzu kommt, dass es bei künstlichen Befruchtungen vermehrt zu Mehrlingsschwangerschaften kommt, die wiederum ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten mit sich bringen. 2015 kamen 78 Prozent der durch Kinderwunschbehandlung entstandenen Zwillinge zu früh auf die Welt.

So schwer es angesichts der Emotionalität des Themas auch sein mag: Der Entscheidung für eine Kinderwunschbehandlung muss eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Zahlen und Risiken vorausgehen, und zwar sowohl von Seiten der Mediziner*Innen als auch der Paare.

Den ganzen Schwerpunkt zu künstlichen Kindern, unklaren Rechtslagen und, klar, der unbefleckten Empfängnis lesen Sie in der gedruckten Weihnachts-taz – oder hier.

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1 Kommentar

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  • Es stimmt ja, dass der Weg zum Wunschkind kein Spaziergang ist, wenn man ein Problem mit der Unfruchtbarkeit hat. Das sind Grenzerfahrungen an Hoffnung und Verzweiflung – und Betroffene, die allen Respekt verdienen, für den Mut, diesen Weg zu beschreiten – und die Entscheidungen, die sie dabei treffen. Ich verdanke meine Kinder der Reproduktionsmedizin auch. Doch mehrere ICSI Behandlungen in Deutschland hatten kein positives Ergebnis zur Folge. Wie es nämlich im Artikel erwähnt wurde: „der Erfolg einer künstlichen Befruchtung ist nicht garantiert“. Es war bloß unser Fall. Wir sollten also einen Ausweg im Ausland suchen (die Ukraine) und eine in Deutschland verbotene Methode in Anspruch nehmen.