Andreas Hartmann
Ausgehen und rumstehen
: Hinterzimmerjazz, Shopping und schummriges Licht

An der Wand hängen Tafeln mit mathematischen Gleichungen, die nicht so recht zum restlichen Künstlerkneipen-Ambiente des Theaters am Schlachthof in Friedrichshain passen wollen. Tagsüber – von irgendwas muss das Haus ja schließlich als Off-Off-Theater Miete bezahlen – soll das Foyer für Nachhilfeunterricht geöffnet sein, erfährt man. Dort, wo jetzt getrunken und gelacht wird, wird bald wieder gebüffelt und gepaukt werden.

Im dahinter gelegenen Theaterraum, in dem gerade 30 Personen Platz finden, und zwar dicht aneinandergedrängt, finden hin und wieder Jazzkonzerte statt. Für die Getränke, die dazu kredenzt werden, zahlt man, was man will, und dazu wird ein Topf für Spenden herumgereicht, mit denen die Gema-Gebühren beglichen werden sollen. Schön, dass es diese Form des experimentellen Wirtschaftens in Berlin noch gibt. Die Höhe des Eintritts, mit dem man gleichzeitig Mitglied des kleinen Theaters wird, darf man als Gast natürlich auch autonom festlegen.

Und bekommt dafür am Freitagabend fabelhaften Jazz geboten. Der junge US-Pianist Declan Forde spielt sich gemeinsam mit Greg Cohen, der schon für Ornette Coleman und John Zorn in die Saiten seines Kontrabasses gegriffen hat, durch eine Reihe unprätentiös interpretierter Jazzstandards von Duke Ellington. Der Raum ist extrem schlicht, das Licht zu hell, das Piano sieht aus, als sei es auf dem Sperrmüll gefunden worden, aber das Konzert ist dennoch ganz wunderbar. Vielleicht sogar – wir befinden uns schließlich in der Vorweihnachtszeit, und zwei Tage später wird es in Berlin sogar kurz schneien – besinnlich. Wir fragen uns deshalb auch, ob es so etwas wie eine Bassistenhand gibt, oder ob es für einen Bassisten ganz normal ist, dass die Hand, die die Saiten greift, ungefähr doppelt so dick ist wie die andere, so wie das bei Cohen der Fall war. Später wollen wir dann auch noch ein paar der mathematischen Gleichungen lösen. Scheitern aber kläglich, was am Rotwein liegen muss.

Nach einem Besuch im Theater am Schlachthof mit seiner dezidiert unkommerziellen Ausrichtung fällt es umso schwerer, sich in der Stadt zurechtzufinden, in der gerade in Erwartung des großen Fests überall die Freuden des verschärften Shoppings gepriesen werden. Da ist noch nicht einmal der 1. Advent erreicht, und man ist schon ganz ermattet vom Black Friday und Cyber Monday, und das, bevor der eigentliche Geschenke-Erwerb-Marathon überhaupt begonnen hat. Ab zum Super-Sale in diesen oder in jenen Flagship Store? Am Ende landen wir dann doch bloß bei den „Diggin’ Days“, zu denen ein großer Berliner Schallplattenfachhandel gerufen hat. Im Club Gretchen wühlt man sich dann durch Plattenkisten, die den ganzen Raum ausfüllen. Alles durchzuscannen geht gar nicht, das Angebot ist schlicht zu groß und das Gedränge auch. Das Licht ist schummrig, wahrscheinlich deswegen, damit man gar nicht erst sehen kann, wie durchgeschrubbt so manche Schallplatte ist, die hier verramscht wird. Vielleicht soll das dezente Halbdunkel aber auch bloß ein wenig Adventsstimmung verbreiten. Ein paar Geschenke findet man dann am Ende doch. Wenn auch bloß mal wieder nur für sich selbst.