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Katrin Seddig Fremd und befremdlichZwei Schlachthäuser wollten an den Feiertagen schlachten. Nun rudern sie zurück – aber warum?

Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Das Fleischfest naht. In den Kühltruhen stapeln sich die eingefrorenen Gänse, die Fleischer, Schlachter oder Metzger haben zu tun. Auf den norddeutschen Weihnachtsmärkten werden Bratwürste verkauft, Thüringer Würste, Schinkenwürste, Wiener Würste, Fleischspieße, Grünkohl mit Pinkel, Kohlwürsten, Speck und Kassler, Schinkenspeck, Rauchwürste, ganze Schinken, Gepökeltes, Schmalz, Wurstringe und Brathähnchen. In allen guten Restaurants, und auch in den weniger guten, gibt es jetzt Gänsebraten mit Knödeln, mit Grünkohl und mit Rotkohl, mit Klößen und mit Salzkartoffeln.

In Köln hat der WDR vor Karstadt einen Gänsestand aufgebaut und die Gänse gleich vor Ort schlachten lassen. Das öffentliche Schlachten kam nicht bei allen gut an. Kinder sollen sowas nicht sehen, die Brutalität des Tötens, das sollen sie nicht wissen, auch die meisten Erwachsenen zeigten sich entsetzt (Kinder sollen so vieles nicht sehen, aber später brav die Keule abnagen. In Kindern erhalten sich die Erwachsenen die Welt irgendwie rein.).

Ich habe selbst jahrelang eine Ente zu Weihnachten zubereitet, und ich gebe zu, es war immer eine sehr leckere Ente. Auch dieses Jahr war ich verlockt, aber jetzt habe ich mich das zweite Mal, das zweite Weihnachtsfest, dagegen entschieden. Es kommt mir tatsächlich irgendwie aufwendiger vor, ein vegetarisches Festmahl zuzubereiten, als eine Ente in den Ofen zu schieben. Selbst wenn die Ente mit einer komplizierten Füllung versehen wird. Aber würde ich eine Ente essen wollen, die ich kenne? Würde ich sie selbst schlachten wollen? Würde ich dieser, der zu meinem Festbraten bestimmten Ente, ins Gesicht schauen und sie schlachten können?

Weil ich das alles nicht könnte und wollte, sollte ich auch keine Ente essen dürfen. Es muss auch nicht sein. Das Fleischessen vor Weihnachten geht mir sowieso schon auf die Nerven. Es ist ja eine unglaubliche Fresserei und Sauferei, während die Obdachlosen unter der Brücke liegen und Elend ausdampfen. Ich weiß, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, aber es liegt ja doch alles nebeneinander, das Elend und die Völlerei, und nie wird mir das so deutlich wie jetzt, wie an Weihnachten.

Und natürlich wird an Weihnachten geschlachtet, frisches Fleisch soll auf den Tisch. Geschlachtet werden muss besonders und ausdrücklich zur Weihnachtszeit. Wahrscheinlich sterben nie im Jahr so viele Tiere wie an Weihnachten. Wenn ich an das kleine Jesuskindlein denke, dass zwischen den lebenden Tieren in der Krippe lag, zwischen ihren warmen, lebenden Leibern, dann kommt mir diese fleischlose Geschichte recht komisch vor. Da hätte doch einer was mitbringen können, die Hirten ein Lamm zum Beispiel, ein bisschen Blut, ein bisschen Braten, dann hätten sich die Eltern vom kleinen Jesuskind auch satt essen können, nach der Geburt in diesem armen Stall. Aber sie bekamen nur Myrrhe und Weihrauch und solches Zeug.

Zwei große niedersächsische Schlachthäuser wollten in diesem Jahr auch an Weihnachten schlachten lassen: der Vion-Schlachthof in Emstek und der Cloppenburger Schlachthof Wernke. Das stieß auf ein bisschen Widerstand, die Kirche war dagegen, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, und die Fleischbeschauer waren es auch. Vion zog seinen Genehmigungsantrag auf Schlachtung an den Feiertagen zurück. Die Firma Wernke hatte die Genehmigung sogar schon erhalten, will die Schlachtung aber wohl aussetzen. Geschlachtet wird also nicht an den kommenden Feiertagen, zerlegt aber schon.

Die Kirche zeigte sich ein bisschen „entsetzt“ über dieses „Schlachtefest“. Ich bin nicht entsetzt. Warum soll man ausgerechnet an Weihnachten, diesem Fleischfest, nicht schlachten? Damit die Schlachthausangestellten ihre Feiertage genießen können, zu Hause bei ihren Lieben? Da wäre ich dafür. Dann sollten sie allerdings auch nicht zerlegen müssen. Dann sollten sie gar nicht arbeiten müssen. Oder soll an Weihnachten kein Tier geschlachtet werden, aus Pietät sozusagen? Aus Pietät wem gegenüber? Dem Tier gegenüber? Oder dem Jesuskindlein? Ihm zu Ehren gibt’s doch das Gemetzel überhaupt.

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