taz-Serie Neu-BerlinerInnen: Die Netzwerkerin
Migranten sind risikobereit, also geborene Unternehmer, sagt Ana María Álvarez Monge aus Costa Rica. Sie hat das Migration Hub Network initiiert.
Das erste Mal sah ich Ana María Álvarez Monge Anfang Oktober im Jüdischen Museum. Sie und drei andere Frauen von zwei verschiedenen Projekten haben dort den Shimon-Peres-Preis vom Deutsch-Israelischen Zukunftsforum entgegengenommen. Es war das erste Mal, dass der Preis verliehen wurde, und als Ana María Álvarez Monge das Wort bekam, um kurz ihr Gewinnerprojekt Migration Hub zu beschreiben, hat sie lange und leidenschaftlich geredet. Das Wort „kurz“ hat sie vollkommen ignoriert. Ich fand das sehr charmant.
Ein paar Wochen später treffen wir uns vormittags in den Räumen des Migration Hub Networks in der Alten Münze in Mitte. Der Regen fällt unaufhörlich vom Himmel, Ana beendet kurz noch ein Gespräch und ich beobachte von einem kleinen Sofa aus die jungen Leute, die zur Arbeit in der Alten Münze eintreffen. Das Gebäude ist groß, hell und alt, hat eine 70-jährige Geschichte als Prägeanstalt für Reichsmark, DDR-Mark, D-Mark und Euro, und die Menschen, die ich hier zur Arbeit kommen sehe, sind wohl selten über 30 Jahre alt.
Sie sind hip, aber praktisch angezogen und besprechen auf Englisch die Aufgaben des Tages, während sie anfangen, Kaffee zu machen und Gläser zu spülen. Limonadenkisten dienen als provisorische Regale, es entsteht sofort ein Eindruck von Dynamik und einer Freude bei der Arbeit.
Soziale Unternehmer
Ana María Álvarez Monge ist 32 Jahre alt und Managerin und Initiatorin des Migration Hub Networks. Sie und ihr Team sind soziale Unternehmer, die seit 2016 mit Migration beschäftigte Grassroot-Organisationen auf europäischer Basis zusammenbringen und sie mit dem privaten Sektor, den Behörden und akademischen und wirtschaftlichen Institutionen in Verbindung bringen. In der Alten Münze koordinieren sie zum Beispiel Events, Rechtsanwälte, die unentgeltlich für Flüchtlinge und Migranten arbeiten, Onlineunterricht und Deutschkurse. Zuletzt gab es hier eine Jobbörse für Menschen, die neu in Deutschland sind.
Geboren ist Ana María Álvarez Monge in Cartago in Costa Rica. „Ich komme aus einer konservativen, katholischen und gar nicht wohlhabenden Familie. Mein Studium in Human Rights, Journalistik und Kommunikation an der Universität in Cartago habe ich selbst mit Arbeit nebenbei finanziert“, erzählt die junge Managerin. Ihren deutschen Mann hat sie in Costa Rica vor acht Jahren kennengelernt, lange hat das Paar in dem Land gelebt und gearbeitet.
Neu in der Stadt Immer mehr internationale Zuzügler sind in den vergangenen Jahren nach Berlin gekommen. Sei es, weil die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen in ihren Heimatländern nicht mehr stimmen, sei es, weil sie beruflich oder privat an der Spree neu durchstarten wollen.
Die Serie Was suchen und was finden sie in Berlin? Unsere Autorin Henriette Harris, die 2004 aus Kopenhagen nach Berlin kam, stellt die Neuankömmlinge an dieser Stelle einmal im Monat vor.
„Das erste Mal in Berlin war ich 2011 und ich war überwältigt von der Geschichte der Stadt. Berlin hat so viel zu zeigen. Alles, was irgendwo auf der Welt passiert, ist hier schon passiert. Kriege, Mauer, Religionsfragen: Berlin war schon durch all das, was die Welt noch nicht zu bewältigen begriffen hat“, sagt Ana María Álvarez Monge.
„2013 war ich wieder hier und ein Freund hat mir die soziale Seite von Berlin gezeigt. Als ich zurück in Costa Rica war, ließ mich der Traum in Berlin zu leben nicht mehr los“, sagt sie. Und so sollte es kommen. Im September 2015 kam das Paar nach Berlin, vom warmen Costa Rica ins nass-kalte Deutschland.
Die Karriere aufgegeben
Ihr Mann hat sofort eine Arbeit gefunden, für Ana María Álvarez Monge war es deutlich schwieriger. In Costa Rica hat sie eine strahlende Karriere aufgegeben, hier kam sie an und hat erfahren, dass es eine Sache ist, Touristin zu sein, und eine andere, sich im Dschungel der Bürokratie zurechtzufinden und zu integrieren. Auch wenn sie Berlin viel offener als manche andere europäische Stadt empfindet, seien die Möglichkeiten hier gering.
Ana María Álvarez Monge
„Ich war zu einem Vorstellungsgespräch in einem Unternehmen, wo es sonst nur deutsche Angestellte gab. Dort war man nicht beeindruckt von meinen Leistungen in Costa Rica, sondern eigentlich misstrauisch, im Sinne von: Wie hast du es geschafft, so jung schon so weit zu kommen?“, erzählt sie.
Auch die Forderungen der deutschen Behörden mache das Ankommen nicht immer leichter. „Hier wird gesagt: Du musst Deutsch lernen. Und ich saß in den Deutschkursen und habe da so viele deprimierte Menschen kennengelernt. Man entwickelt einen gewissen Druck, das Gehirn arbeitet irgendwie anders, weil es so wichtig ist, und unter Druck wird es noch schwieriger, eine neue Sprache zu lernen“, sagt Ana María Álvarez Monge.
Sie hat angefangen, sich nach kulturell Gleichgesinnten umzuschauen und nach einiger Zeit fing sie an, unentgeltlich für eine große Beratungsstelle für gemeinnützige Organisationen zu arbeiten. Da bekam sie viel Unterstützung. „Ich fing an, mir Gedanken über Integration als Inklusion zu machen, und die Idee von einem Raum für alle Freiwilligen, die mit Migranten und Flüchtlingen arbeiten, entstand. Nichts kann uns vergessen lassen, wo wir herkommen, aber wir brauchen alle ein Zugehörigkeitsgefühl, wir brauchen es, uns willkommen zu fühlen. Die Menschen suchen Möglichkeiten, Arbeit, bessere Ausbildung für ihre Kinder, und wir helfen ihnen, diese Möglichkeiten zu finden. Aber wir brauchen natürlich mehr Kapital und Investoren, die das Sinnvolle bei dieser Sache sehen“, sagt sie. Und: „Wir können sehr wohl behaupten, dass jeder Migrant ein Unternehmer werden kann, aber wir brauchen Geld.“
Eine bessere Zukunft
Im März 2016 wurde das Migration Hub Network Realität, im Dezember 2016 zog es in die Alte Münze. „Ich liebe es, dass wir gerade hier sind. Das Gebäude ist in den 1930er-Jahren von Menschen gebaut worden, die fanden, dass Deutschland den Deutschen gehöre. Ich finde, dass die Deutschen viel zu spät erkannt haben, dass sie sich nicht für die Vergangenheit schämen müssen, sondern die Vergangenheit als Erfahrung für eine bessere Zukunft benutzen sollen. In der Welt steht es ziemlich schlecht um das Teilen, aber viele in der Welt schauen nach Berlin“, sagt Ana María Álvarez Monge.
Und sie meint, dass gerade Migranten die geborenen Unternehmer seien. „Wir sind risikobereit, mussten das schon sein, um hierher zu kommen, und wir haben viel zu geben. Ich kenne Ärzte, die hatten in Syrien eine eigene Klinik, zwei Autos, und die sitzen jetzt hier im Flüchtlingsheim, ohne was zu machen. Man kann ihnen nicht sagen: Ihr müsst so sein wie wir. Aber es ist notwendig für Menschen, hier auch ihre Fähigkeiten anerkannt zu bekommen“, sagt sie.
In den letzten Wochen war Ana María Álvarez Monge auf Konferenzen in Paris und Oslo eingeladen, Migration Hubs in Heidelberg und München sind in Planung. Weitere Anfragen aus Bonn, Mailand und Dublin gibt es schon.
Aber zu Weihnachten geht es für Ana María Álvarez Monge nach Costa Rica, das erste Mal seit zwei Jahren. Und selbst wenn sie auch dort arbeiten wird, freut sie sich wie ein kleines Kind. „In Costa Rica wird Weihnachten gefeiert, also so richtig gefeiert. Und ja, der Winter hier ist lang. Sehr lang“, lacht sie.
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