piwik no script img

Benjamin Moldenhauer Popmusik und EigensinnEine vorbildlich schlecht integrierte Verkrampfung

Was hat Pop mit dem Leben zu tun? Georg Seeßlen, am Beispiel von The Cure: „Eine Band, die man liebt, ist ein Spiegelbild der eigenen Situation. Sie drückt genau das aus, was mit dir los ist, und zwar in dem, was gerade auseinanderfällt, und in dem, was gerade zusammenkommen will.“ Das passt auch, weil die Band eine ihrer schönsten Platten „Disintegration“ genannt hat – der Zerfall quasi als programmatisch-thematische Ansage im Hinblick aufs Gesamtwerk.

„Disintegration“ erschien 1989, Tobias Siebert lebte im Osten Deutschlands, hörte The Cure und erlebte das Ende der DDR und die Entstehung des vereinigten Deutschlands. 28 Jahre später nahm er mit seiner Band Klez.e, die bis dahin mit sorgsam komponiertem Indiepop nicht weiter aufgefallen war, die Platte „Desintegration“ auf: weniger eine Hommage an The Cure, sondern eine Fortschreibung. Die Musik klingt ganz anders als auf den ersten drei Platten von Klez.e. Ein großes Geheimnis in meinen Ohren: Wie ein Sänger die Tonalität einer anderen, im Falle von Smith auch noch singulären Stimme treffen kann, ohne sie zu imitieren. Das gilt für den Sound der Band im Gesamten. Der ist dem von The Cure nachgebildet, wieder nicht im Sinne einer schlichten Verdoppelung, sondern einer Anlehnung an die der ästhetischen Mittel, die gewählt werden, um einer Haltung zur Welt Ausdruck zu verleihen: anteilnahmsloses Schlagzeug, depressiver Bass, Nebelgitarren, äußere Schlaffheit bei gleichzeitiger innerer Anspannung.

Daran schließt die Seltsamkeit an, dass „Desintegration“ trotzdem nicht unter Retro-Tristesse verbucht werden kann, sondern davon erzählt, dass sich gerade jetzt, in der Gegenwart des Landes, politische und soziale Errungenschaften auflösen.

Klez.e spielen am Freitag, 8. 12., um 20.30 Uhr in der Lila Eule

Das Politische ist in den bedeutungsoffenen Texten enthalten, es wäre aber auch in Instrumentalversionen dieser Songs noch spürbar. Die schöne Weinerlicheit, das Unterkühlte, das Nicht-vom-Fleck-Kommen, das hervorgekehrt Effimierte und Filigrane dieser Musik stehen quer zu allem, was an entkrampfter deutscher Popmusik so bescheuert ist, Indierock inklusive. „Ich bin der Feind eurer Nationen“, singen Klez.e, vorbildlich schlecht integriert.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen