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Im Ausland gilt unser Mietmodell als Vorbild, wir Deutsche bezweifeln das

Amélie Losier

Ulrike Herrmann

ist ausgebildete Bankkauffrau und hat an der FU Berlin Geschichte und Philosophie studiert. 2016 erschien von ihr: „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können“ (Westend).

Seltsam: Deutschland ist ein sehr produktives Land, trotzdem haben die normalen Deutschen kaum Privatvermögen. Fast alle anderen Europäer sind reicher; selbst in den Krisenländern besitzen viele Bürger mehr Eigentum.

In Zahlen: In Deutschland hat der mittlere Haushalt ein Nettovermögen von 60.800 Euro, wie eine EZB-Studie im vergangenen Jahr ergab. In Italien hingegen sind es 146.000 Euro, bei den Spaniern 159.600 Euro – selbst die Griechen besitzen im Mittel 65.100 und die Portugiesen 71.000 Euro. Machen die Deutschen etwas falsch?

Eine erste Antwort erscheint simpel: Viele Deutsche haben keine Immobilie, sondern wohnen zur Miete. Nur etwa 50 Prozent leben in einem Eigenheim. In Italien sind es etwa 70 Prozent, in Spanien und Portugal 75 Prozent und in Griechenland sogar fast 80 Prozent.

Der Umkehrschluss scheint klar. Wenn die Deutschen mehr Eigenheime hätten, dann wären sie reicher. Also her mit Wohnungen und Häusern! Auch die Politik ist überzeugt, dass sie den Immobilienbesitz fördern sollte. Die Jamaika-Sondierer haben viel gestritten, aber sie waren sich einig, „auch Eigentumsbildung gerade für Familien zu ermöglichen“. Helfen sollte unter anderem ein Baukindergeld von 100 Euro im Monat.

Gegen Familienförderung ist nichts zu sagen. Aber es wäre naiv zu glauben, dass ein Baukindergeld darüber entscheidet, wie hoch der Immobilienbesitz in Deutschland ist.

Das Beispiel Italien ist instruktiv: Über Jahrzehnte wurde dort in „Betongold“ investiert, weil die Italiener der Inflation in ihrem Land entkommen wollten. Finanzanlagen waren unattraktiv, weil sie an Wert verloren. Stattdessen war das Kalkül: Wenn die Preise steigen, werden auch Häuser teurer. Das Ersparte ist sicher.

Die höhere Inflation in vielen Ländern hat jedoch den Effekt, dass sich die Hauspreise quer durch Europa nicht vergleichen lassen. Während Immobilien allerorten teurer wurden, stagnierten die Preise in Deutschland. Häuser haben keinen „Wert an sich“, der objektiv messbar wäre.

So unglaublich es im Rückblick erscheint: Zwischen 2000 und 2010 bewegten sich die Hauspreise in Deutschland überhaupt nicht. Nicht einmal die Inflation wurde ausgeglichen, sodass die deutschen Immobilien real sogar billiger wurden.

Erst ab 2011 legen die Hauspreise in Deutschland zu, und inzwischen ist der Preisauftrieb alarmierend. In sechs Jahren wurden Immobilien um 30,5 Prozent teurer. Aber dies ist ein Durchschnittswert. In vielen Großstädten sind die Wohnungspreise noch stärker explodiert.

Auch die Bundesbank ist beunruhigt, dass die Hauspreise in die fiktiven Welten der Spekulation abheben. Am Mittwoch veröffentlichte sie ihren jährlichen Bericht zur Finanzstabilität und kam zu dem Ergebnis, dass die Immobilien in 127 deutschen Städten „zwischen 15 und 30 Prozent überbewertet“ seien.

Es ist kein Zufall, dass die Hauspreise seit 2011 zulegen. Denn zeitgleich explodierte die Eurokrise. Fluchtgeld aus ganz Europa landete in Deutschland: Panische Italiener oder Griechen kaufen nun hier Immobilien, um einem möglichen Finanzcrash zu entgehen.

Durch die Eurokrise sanken zudem die Zinsen, was die deutschen Häuserpreise ebenfalls treibt. Je billiger die Kredite sind, desto höhere Darlehen lassen sich finanzieren. Plötzlich können auch normale Familien eine Wohnung kaufen, die 400.000 Euro kostet. Der „Markt“ passt sich an diese Geldschwemme an: Selbst für simple Wohnungen werden erstaunliche Summen verlangt.

Verlierer sind die ärmeren Haushalte, die sich keine eigene Wohnung leisten können – aber nun erleben müssen, dass die Mieten ebenfalls deutlich steigen.

Das Thema „Wohnungsnot“ hat die Politik längst erreicht, wie die Jamaika-Sondierungen zeigten. Aber die Strategie ist falsch, auf möglichst viel Eigentum zu setzen. Das deutsche Modell war extrem erfolgreich: Sozialwohnungen bauen – und die Mieter schützen.

Es ist paradox: Im Ausland gilt das deutsche Modell als Vorbild, während die Deutschen neuerdings an ihrer Mietergesellschaft zweifeln. Vor allem Engländer wünschen sich, sie könnten die Uhren zurückdrehen und hätten nicht ab 1980 mit ihrer damaligen Premierministerin Margaret Thatcher radikal aufs Eigentum gesetzt. Denn die Folgen sind bitter – und für Deutsche lehrreich.

Ursprünglich war auch Großbritannien ein Mieterland, doch Thatcher glaubte an die Segnungen des „Marktes“, weswegen 1,5 Millionen Sozialwohnungen an ihre Bewohner zu Billigstpreisen verkauft wurden. Seither gibt es für Bedürftige keinen Zufluchtsort mehr.

Damit der „Markt“ walten kann, existiert zudem kein Schutz für Mieter. Britische Hauseigentümer können Wohnungen jederzeit kündigen, auch Mietpreisbremsen sind unbekannt.

Der Mieter ist Freiwild, und wer im Großstadtdschungel überleben will, muss Eigentum erwerben. Diese ungebremste Nachfrage treibt die Preise in astronomische Höhen, weswegen immer mehr Menschen nun doch auf überteuerte Mietwohnungen angewiesen sind.

Da das Einkommen oft nicht reicht, muss der britische Staat doch einspringen: Fast 25 Milliarden Pfund werden für Wohngeld ausgegeben – das ist mehr als für Polizei, Straßen und militärische Ausrüstung zusammen.

Trotz dieser immensen Summen bleibt das eigentliche Problem ungelöst: Gerade weil der britische Staat seine Ärmsten subventioniert, können die Mieten in England weiter steigen.

Die Erfahrungen von Italien bis Großbritannien zeigen, dass Immobilien eine einzigartige Ware sind: Sie sind eigentlich ein Konsumgut. Aber anders als Möbel oder Autos eignen sich Häuser perfekt zur Spekulation. Zudem muss der Mensch irgendwo wohnen, während man auf ein Auto ruhig verzichten kann.

Immobilien sind daher kein normaler „Markt“, wo das Eigentum alles regelt. Der Staat muss eingreifen – und wie die Engländer teuer lernen mussten, sind Sozialwohnungen am effektivsten.

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