So lange zerteilen bis Gesellschaft draus wird

Im Künstlerhaus fragt die Ausstellung „Wie werden wir uns wiedererkennen“ ganz romantisch nach Gesellschaft

So lange wiederholen, bis was Neues entsteht: Ausstellung im Künstlerhaus Bremen Foto: Fred Dott

Von Radek Krolczyk

Ein hübscher, sentimentaler Ausstellungstitel ist das: „Wie werden wir uns wiedererkennen“. Man denkt möglicherweise an Abschied und Wiedersehen. Auf welche Weise verändert man sich durch die Zeit und die Orte, durch die man hindurchgeht? Man wäre dann auf einer recht persönlichen Ebene, die Formen von „wir“ und „uns“ wären individualisiert. Woran werde ich dich wiedererkennen? Und du mich? Selbst wenn man die Frage viel allgemeiner stellt, wird man doch wieder aufs Individuum zurückgeworfen, wenn man sich mit ihr beschäftigt.

So geht es auch den Künstlerinnen und Künstlern der Ausstellung in der Galerie des Künstlerhauses. Die Fragen, die sich hier anschließen, sind groß. Denn in der Frage nach dem Sichwiedererkennen steckt auch die Frage nach etwas Gemeinsamem. Woran erkennt der Mensch einen Menschen? Woran das Individuum ein anderes Individuum? Und ergibt sich aus diesem Sichwiedererkennen möglicherweise erst überhaupt Gesellschaft? Auffällig ist, dass in den so verschiedenen Gattungen wie Video, Plastik, Zeichnung und Malerei immer wieder das Portrait des menschlichen Gesichts von zentraler Bedeutung ist.

Es gibt eine große Besonderheit in der Zusammenstellung, die Kuratorin Fanny Gonella hier vorgenommen hat. Die Ausstellung formuliert keine These, die die Arbeiten belegen sollen, wie das bei Gruppenausstellungen häufig so ist. Vielmehr stehen die Werke erst einmal für sich allein. Man muss sie kennenlernen, sie verstehen, um den Bezug zu diesem größeren Themenzusammenhang wiederzuerlangen. Das lässt den Kunstwerken Raum, sich zu entwickeln, und den Betrachtern Raum, sie zu erfahren.

Manchmal gerät das Ganze etwas albern, etwas cheesy. Besonders wohl bei den Plastiken von Nicole Wermers. An einer Wand hängen nebeneinander zwei unterschiedliche, Dunstabzugshauben, beide neu, beide verchromt. Darunter je etwas seltsames, schwulstiges aus weißer Keramik. An der oberen Seite sind ein paar Schlitze. Das Ganze sieht schon aus wie eine Sanitärkeramik – bloß welche? Der Titel „Givers and Takers“ hilft uns ein wenig weiter. Aha, ein Handtrockner! Denn zumindest wird so der Zusammenhang geklärt: Das eine Gerät saugt, das andere bläst. Als Ganze erinnern sie eher blöd an einen Kopf mit Zylinder.

Der Eindruck verstärkt sich, wenn man sich im Raum ein wenig umsieht. Denn schon gleich über Eck hängt eine weitere Keramik, ein Waschbecken, mit einer Zeichnung darüber, wo sonst der Spiegel hängt: die Arbeit „Girl“ von Naama Arad. Diese Zeichnung sieht aus wie ein Porträt, das der Bauhäusler Oskar Schlemmer angefertigt haben könnte: ein abstrakter, vielleicht technischer Aufbau, der durch die Positionierung über dem Becken zum Gesicht wird. Als Brille baumeln an der Seite die Stöpsel. Wenn es jemandem mit einfachen Mitteln gelingt, uns eine schwierige Aufgabe zu stellen, dann fühlen wir uns nach der Auflösung verarscht.

So auch hier. Was jedoch bei all dem Schweben bleibt, ist die Erfahrung einer formalen Verallgemeinerung des menschlichen Gesichtes: Aus ihm scheinbar fremden Einzelteilen setzt es sich ganz allmählich erst im Kopf zusammen.

Ähnlichkeit und Wiederholung schüren Ängste. Aber geht es ohne?

Eine ganz andere Form der Auflösung des Individuellen findet sich in einer anderen Arbeit, dem Video „la molescule (in the screen)“ von Stefanie Knöbel. Zu sehen ist zunächst eine junge Frau mit blonden, schulterlangen Haaren in einem Gymnastikstudio. Auf einer Matte macht sie verschiedene Übungen, in den Spiegeln um sie herum zerteilt sich ihr Bild. Eine zweite Teilung vollzieht sich, als identisch aussehende Frauen den Raum queren. Die Körperspannung der ersten verliert ihre Einzigartigkeit. Als kaleidoskopisches Muster entfaltet sich auch der dazu gesprochene Text: Er gibt der Turnerin Anweisungen, kommentiert, bricht aus und erzählt frei. Gesellschaftskritiker würden nun auf die Massenkultur schimpfen, Dystopisten vom Klonen sprechen. Aber ist diese Ähnlichkeit, die man hier sieht, wirklich schlimm? Ist der Anspruch an Individualität möglicherweise selbst ideologisch? Ist Gesellschaft ohne Ähnlichkeit überhaupt möglich? Und gibt es nicht im Sinne der Klassik auch eine „gute“ Form von Ähnlichkeit und Wiederholung?

bis 28. Januar 2018, Künstlerhaus Bremen

Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘ in Bremen