Kommentar von Andrea Scharpenüber Koalitionen in Niedersachsen: Ampel hier, Groko da
Die FDP in Hannover hat keine Angst vor den Grünen. Das Ampel-Bündnis, das die Landes-Liberalen für Niedersachsen so strikt abgelehnt haben, ist in der Landeshauptstadt seit einem Jahr gelebte Praxis. SPD, Grüne und FDP arbeiten nicht nur zusammen, die Ratsmitglieder vertrauen sich sogar. „Es gibt diese ideologische Hürde nicht“, sagt Ex-FDP-Generalsekretär Patrick Döring, der im Rat der Stadt sitzt. „Wir hören einander zu und entwickeln gemeinsame Lösungen.“
Dabei war die Ausgangssituation nach der Kommunalwahl 2016 in Hannover gar nicht so anders als im Land. Auch im Stadtrat hatte zuvor Rot-Grün die Mehrheit. Anstatt aber wie Landeschef Stefan Birkner (FDP) zu sagen, dass eine Ampel ausgeschlossen ist, weil man nicht der Steigbügelhalter für eine rot-grüne Regierung sein wolle, haben sich die Stadt-Liberalen auf Inhalte konzentriert. Jetzt werden eben gemeinsam Radwege gebaut und nebenbei der in Hannover oft stockende Autoverkehr flüssiger gemacht.
Die drei Parteien konnten sich zwar nicht dazu durchringen, das ganze Koalition zu nennen und die gemeinsamen Ziele für die Stadt in einem Koalitionsvertrag festzuhalten. Sie schaffen es aber doch, Gemeinsamkeiten zu finden und sich über die Gegensätze nicht öffentlich zu zerlegen. Das Modell Hannover hätte ein Vorbild für die Zusammenarbeit im Land sein können. Stattdessen blockierte die FDP und es verhandeln nun SPD und CDU über die Zukunft des Landes.
Diese Koalition wird in Niedersachsen alles andere erschlagen. Von den 137 Sitzen im Landtag haben SPD und CDU 105 Sitze. Wie soll sich die Opposition da noch bemerkbar machen?
Auch in der Stadt Hannover hätte eine große Koalition gedroht, wenn die Liberalen nicht mitgemacht hätten. „Die CDU war willig“, sagt der Vorsitzende des SPD-Stadtverbandes Alptekin Kirci. Für seine Partei wäre die große Koalition bequemer gewesen, sagt er. Nun müssen zwischen den Parteien ständig strittige Debatten über Sachfragen geführt werden. „Trotzdem ist eine große Koalition immer die schlechteste Lösung für eine Demokratie“, sagt Kirci.
Eben das steht den Niedersachsen nun bevor. Nur eine Stunde nach der Jubel-Pressekonferenz zu einem Jahr Ampel in Hannover, traten ein paar Straßen weiter CDU-Generalsekretär Ulf Thiele und SPD-Landesgeschäftsführer Georg Brockmeyer mit ersten Ergebnissen aus den Koalitionsverhandlungen vor die Kameras.
Die Parteien wollen unter Führung von Weiter-Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Wieder-Landtagsabgeordnetem Bernd Althusmann (CDU) die Informatik- und Medizinstudienplätze im Land aufstocken und mit Letzterem etwas gegen den Ärztemangel auf dem Land tun.
Das ist nicht nur begrüßens-, sondern auch bemerkenswert unstrittig. Spannend wird es bei den Verhandlungen erst ab nächster Woche. Dann stehen Themen wie die viel kritisierte Atempause bei der Inklusion und die zukünftige Haltung in der Asylpolitik auf dem Zettel. Dann kann die SPD zeigen, ob sie aus humanitären Prinzipien auf die Abschiebungen nach Afghanistan verzichtet hat oder weil sich die Grünen durchgesetzt hatten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen