Leyla YenirceInselstatus: Wenn das Fernsehen kommt
Liebe Insel, da, wo die Menschen wenig Geld besitzen und eine vergleichsweise hohe Kriminalität herrscht, ziehen die teuren TV-Produktionen ein, um ein Verbrechensszenario zu inszenieren. Mitspielen können natürlich nicht die Anwohner*innen, sondern Schauspieler*innen, die für gutes Geld die Schauplätze und Straßen der Menschen, die hier leben, blockieren. Dann kann man auf ein Mal nicht mehr in den Kiosk, weil gerade gefilmt wird.
Derzeit laufen gerade in Wilhelmsburg die Dreharbeiten der Fernsehserie Großstadtrevier. Egal ob am Krankenhaus Groß-Sand, am Stübenplatz oder am Vogelhüttendeich, die öffentlichen Plätze und Straßen werden zu aufregenden urbanen Drehorten gemacht und die Anwohner*innen können gespannt hinter ein Filmset beobachten, während Straßenpassagen und Läden gesperrt werden. Ich frage mich: Ist die Insel der richtige Ort dafür?
Für viele Menschen ist es bestimmt ganz aufregend, mal hinter die Kulissen zu gucken. Ich habe auch aus dem Bus geschielt, als er an der Ecke Georg-Wilhelm-Straße/Vogelhüttendeich am Schauplatz des Verbrechens vorbeifuhr. Tatsächlich dachte ich mir schon oft, das die Insel filmreif ist. Manchmal ist es hier wir auf einem Abenteuerspielplatz, der aufregend und unberechenbar ist. Warum sollte also nicht ein bisschen mehr Licht auf Wilhelmsburg fallen, um das Geschehen ins Fernsehen zu bringen?
Während die einen sich am Catering bedienen und Polizist*innen spielen, laufen die anderen vom Penny Markt nach Hause und gucken nur mal kurz zu. Der Glamour prallt an der Busscheibe ab und schwappt auch nicht über den Bordstein zu den Anwohner*innen hinüber. Das Ganze ist ein bisschen wie bei der Internationalen Bauausstellung. Als die IBA auf der Insel war, hielt die Aufmerksamkeit ganze sieben Jahre. Doch auch sie ist nicht mehr spürbar. Mindestens nicht für mich als Insulanerin, die nicht in unmittelbarer Nähe des IBA-Geländes wohnt. Anders dürfte das für diejenigen sein, die sich eine Wohnung in den Neubauten für die Bauausstellung leisten konnten. Sie können sich einen netten Spaziergang im Park vor der Haustür gönnen.
Die Frage ist, was bleibt. Anwohner*innen könnten sich darüber freuen, dass es die Backsteinfassade ihres Sozialbaus ins Fernsehen geschafft hat. Vielleicht ist auch das Küchenfenster von Murat gut zur Geltung gekommen. Doch wenn die Lichter aus sind und die Crew abgebaut hat, wird sich bald keiner mehr daran erinnern. Spätestens zwei Folgen später wird Wilhelmsburg wieder in Vergessenheit geraten sein.
Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.
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