Benjamin Moldenhauer
Popmusik und Eigensinn
: Unterm Grauschleier

Die Emotionen sind eingekesselt, erzeugen Innendruck, werden aber wohlweislich nicht rausgelassen. Vielleicht weil jeder Gestus des Loslassens schon ein Versprechen zu viel wäre. In der Musik von Karies tönt das Hadern mit der Welt vermittelt und gebremst. Der punktgenaue Bass und diszipliniertes Schlagwerk erzeugen Spannkraft. Die Gitarren leiern kränklich, die Stimme ist dezent verhallt, vielleicht weil die Welt immer ein bisschen zu groß ist für eine einzelne Beschwerde, klingt aber über weite Strecken referierend und nüchtern. Auch dann noch, wenn es ans Eingemachte geht: „In deiner Umarmung will ich heut Nacht nicht schlafen/ In deinem Griff/ will ich nicht länger sein“. Das letzte Album „Es geht sich aus“ lässt sich als Antithese zu den ausgeprägten Harmoniebedürfnissen im zeitgenössischen Indie-Pop verstehen. „In deiner Umarmung“ usw. sind die ersten Zeilen des Albums.

Der Song, „Es ist ein Fest“ geht so weiter: „Wir werden glücklich getrennt sein/ Und frei für immer/ Glücklich, getrennt und frei“. Wo im deutschen Indierock melancholisch Gemeinsamkeit und pupswarme Gemütlichkeit beschworen werden, insistieren Karies kalt auf der Schönheit des Trennenden.

Die Welt taucht nur schemenhaft auf in diesen Songs, und es lässt sich nicht immer sagen, was als historische Reminiszenz und was als Artikulation akuter Welterfahrung gedacht ist. In einem Stück ist gar, schön anachronistisch, vom „Fernsehflimmern“ die Rede – ein Bild der Entfremdung, das eher nach 1980 klingt, dem Jahr, in dem Fehlfarbens „Monarchie und Alltag“ erschien. Die Titelzeile des Karies-Albums wiederum wird so geschrieen, dass man gleich weiß: Hier geht sich gerade gar nichts mehr aus. Glücklich ist keiner, es liegt ein Grauschleier über der Stadt, aber ohne Gesellschaft geht es halt auch nicht: „Alleine kann man schlecht pervers sein/ ich musste wieder unter Leute gehen“.

Karies spielen am Freitag, 24. 11., um 20.30 Uhr im Lagerhaus

Der junge, wütende Mann, hier erscheint er als verspannter Skeptiker, der nicht so recht weiß, wohin mit sich. Nur dass man das, was vorliegt, nicht möchte, ist fraglos. Ein Ausweg ist, wie schon beim großen Ahnen Peter Hein, nicht vorgesehen. Zumindest hört man davon nichts. Am Ende müssen alle voraussichtlich das werden, was sie immer schon waren, allem Gezappel und Geschrei zum Trotz: bürgerliche Wesen.