Wo Kühe sicher weiden

Die Stiftung „Aktion Kulturland“ übernimmt bäuerliche Familienbetriebe, um sie zu erhalten. Ein Besuch in der Backstube von Hof Löstrup

Landschaftspfleger auf vier Beinen: Auf dem Land der Stiftung grasen die Galloway-Rinder einer Genossenschaft, die sich extra für den Zweck gegründet hat, diese Fläche zu bewirtschaften. Die BesitzerInnen leben alle in der Nachbarschaft der HerdeFoto M. Willers

Von Esther Geißlinger

In der Bäckerei liegt ein angenehmer, leicht säuerlicher Geruch in der Luft, obwohl der Ofen nicht mehr heizt. Der Raum ist so etwas wie das Herz des Hofes Löstrup – die Backstube als Schnackstube. Jenseits davon liegen der alte Stall und die Freigehege der Schweine. Der Eber, groß und borstig wie ein Wildschwein, reckt den Rüssel durchs Gatter und will gekrault werden. Auf dem Laufgang vor den Gehegen schiebt ein Mann in Gummistiefeln eine Schubkarre mit Dung. Löstrup, ein Bauernhof wie aus der guten alten Zeit. Bloß dass es hier keinen einzelnen Bauern mit seiner Familie gibt, sondern eine ganze Gruppe von Fachleuten. Und dass Haus und Äcker keinem von ihnen gehören, sondern einer Stiftung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, traditionelle Höfe zu erhalten.

Grundstock der Arbeit war vor 30 Jahren „der Wunsch einer einzelnen Stifterin, den ihr zugeflossenen Teil eines Familienerbes aus Industrievermögen wieder in den Boden zurückfließen zu lassen“, so steht es etwas geschraubt auf der Homepage der „Aktion Kulturland“. Maritta Stille, die mit ihrem Mann Christian Steib zu den Gründungsmitgliedern gehört, erklärt die Motivation der damals Beteiligten: „Die Stifterin wollte das Geld aus politischen Gründen nicht für sich selbst, sondern für einen gemeinnützigen Zweck.“ Das Thema Umweltschutz lag in den 80er-Jahren nahe, und gegen die immer stärker werdende Industrialisierung der Landwirtschaft wollte die Gruppe um die anonyme Stifterin „Flächen freikaufen“.

Leute aus der Stadt, die mit Kohle winken – dem Klischee nach greift da jeder Bauer zur Forke und jagt sie vom Hof. So aber war es nicht, sagt die heute 76-jährige Stille: „Der Gedanke, anders zu arbeiten, war bei den Landwirten schon da.“ Einigen ging es um ökologischen Landbau, anderen um die Frage, wem sie ihren Besitz weitergeben, wenn die eigenen Kinder keine Lust auf Bauernhof haben. In der Regel erhält die Stiftung Haus und Äcker geschenkt, muss dafür aber Schulden und Belastungen tragen, dazu zählt oft die Versorgung der Altenteiler. Heute gehören sieben Betriebe zum Eigentum der Stiftung, darunter drei im nördlichen Schleswig-Holstein nahe dem Örtchen Steinberg, wo Maritta Stille und Christian Steib, geschäftsführender Vorstand der Stiftung, in einem Reetdachhäuschen leben. Drei weitere Kulturland-Betriebe befinden sich in Niedersachsen, einer in Bayern. Ein „Kulturlandhof“ soll nicht nur Milch oder Korn erzeugen, sondern, so will es die Satzung, „ökologische, soziale und kulturelle Dienstleistungen erbringen, die der Allgemeinheit zu Gute kommen“. Für Christian Steib ist der Hof Löstrup ein Paradebeispiel dafür: Der Hof mit seinen zurzeit fünf Gemeinschaftsmitgliedern und sechs Menschen mit Behinderung, die dort dauerhaft leben, ist durch Angebote wie Bauernhofpädagogik oder Hofladen ins Dorfleben eingebunden.

„Man kann auskömmlich und ökologisch wirtschaften, wenn die Landwirte Ideen haben und sich mehrere Standbeine aufbauen“, sagt der 76-jährige Steib, der als „Hofpate“ mehrere Kulturlandprojekte begleitet. Nicht immer gelingt das. Der Hof Bremholm ist so ein Fall, obwohl die Voraussetzungen bilderbuchmäßig klingen: Die Altbauern übergaben den Milchviehbetrieb mit 80 Hektar Land an die Stiftung, da keines der Kinder den Hof wollte. Einige Jahre später entschied sich einer der Söhne doch für den Bauernberuf und pachtete das Haus seiner Kindheit zurück. Nun wohnt er mit Frau und Kindern in dem stattlichen Ziegelbau. Prachtkühe stehen in einem modernen Laufstall, und als die Scheune dem Sturm „Christian“ zum Opfer fiel, machte die Stiftung Geld für den Bau einer neuen Halle locker. Aber die Familie wird den Hof verlassen: „Es war von Anfang an zu viel Arbeit“, sagt die Bäuerin. Der schlechte Milchpreis, die hohen Anforderungen an einen Öko-Betrieb: „Mein Mann will seine Arbeit perfekt machen. Aber gemessen an der vielen Arbeit ist der Verdienst zu gering.“ Die Stiftung wird nun einen neuen Pächter suchen.

Denn Leerstände können sie sich nicht leisten. Geld kommt durch die Pacht für Höfe und Land sowie Spenden in die Kasse, aber gerade für den Kauf von Naturschutzflächen geht es nicht ohne öffentliche Fördermittel. „Gerade mit dem Land Schleswig-Holstein arbeiten wir eng und vertrauensvoll zusammen“, sagt Steib. Zum Beispiel an der Osterau: An dem kleinen Flüsschen kauft die Stiftung Flächen auf, die teils naturiert, teils an Landwirte verpachtet werden. Denn auch Bewirtschaftung ist wichtig. So brütet etwa der Kiebitz am liebsten im kurzen Gras, weidende Kühe stören ihn dabei nicht. „Die Leute in der Region kennen uns, und wenn jemand Land verkaufen will, bekommen wir einen Anruf“, sagt Stille.

Im Zentrum des Konflikts

Mit einem ähnlichen Projekt war die Stiftung 2005 auf der Halbinsel Eiderstedt aktiv, um Weideflächen für seltene Vögel wie die Uferseeschwalbe attraktiv zu machen. Was so harmlos klingt, war damals hoch umstritten: Schleswig-Holstein hatte zu wenig Land als Flora-Fauna-Habitat gemeldet, es drohten EU-Vertragsstrafen. Als weite Teile Eiderstedts unter Schutz gestellt werden sollten, gingen die Bauern auf die Barrikaden, und die Stiftung geriet ins Zentrum des Konflikts. Am Ende standen aber neue Modelle für den so genannten Vertragsnaturschutz, bei dem Landwirte Geld erhalten, wenn sie Teiche für Schwalben anlegen oder Wiesen ruhen lassen, wenn Vögel dort brüten.

Bernhard von Becker und Sabine Wendt von der Hofgemeinschaft Löstrup mit Christian Steib und Maritta Stille Foto: est

In Schleswig-Holstein gibt es mehrere Stiftungen, die sich für Naturschutz, Renaturierung und Artenvielfalt einsetzen, darunter die Michael-Otto-Stiftung mit Sitz in Hamburg, die gemeinsam mit dem Nabu ein Forschungsinstitut zu Wattenmeer und Vogelschutz im Storchendorf Bergenhusen betreibt, und die landeseigene Stiftung Naturschutz, die Flächen kauft und renaturiert. „Aber wir sind die einzigen im Land, die Höfe kaufen“, sagt Stille.

In Löstrup lief es ähnlich wie in anderen Betrieben, die später zur Stiftung kamen. 1978 begann der damalige Bauer den Familienbesitz auf Öko-Landbau umzustellen. 1985 erhielt der Hof die Anerkennung des Demeter-Verbandes. Wenige Jahre darauf stieg die Aktion Kulturland ein, der Hof wurde in die „Gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung des ökologischen Landbaus in Angeln mbH“ umgewandelt.

„Klar war die Nachbarschaft skeptisch“, sagt Sabine Wendt. Die heute 54-Jährige kennt den Hof aus ihrer Lehrzeit. Sie kam nach der Umstellung wieder ins nördliche Angeln zurück und lebt seit dieser Zeit mit ihrem Lebensgefährten auf dem Hof. Jede und jeder hat seine Aufgaben: Sabine Wendt hat die Backstube und die Bienenvölker der Imkerei unter sich und betreut die Schulklassen und Kita-Gruppen, die auf dem Hof etwas über bäuerliches Leben und Arbeiten erfahren wollen. Und sie kümmert sich um die sechs Menschen mit Behinderungen, die in einem eigenen Haus als Wohngemeinschaft auf dem Hof leben. Auch ihr Kollege Bernhardt von Becker (58) war bereits als junger Mann auf dem Hof und kam zurück, als sich die Gemeinschaft bildete. Er kümmert sich heute um die Landwirtschaft und den Hofladen, in dem hofeigenes Brot und Gemüse und andere Bio-Produkte verkauft werden. Inzwischen ist der kleine Laden auch ein Treffpunkt für die Nachbarschaft: Das Misstrauen vor der „Kommune“ hat sich längst gelegt.

Vielfalt statt Konzentration – „wenn Betriebe sich so aufstellen, können sie überleben“, sagt Christian Steib. Er wünscht sich von der Politik mehr Hilfen für kleine Höfe statt für die großen, hat aber wenig Hoffnung: „Es geht in Richtung Konzentration.“ Die Stiftung werde weiter dagegen kämpfen und Höfen Hilfen für das Überleben an die Hand geben. Auf Löstrup zumindest wird es weitergehen. Hier vollzieht sich gerade ein Generationenwechsel – eines der Gründungsmitglieder ist ausgezogen, eine junge Familie übernimmt demnächst die Wohnung. Dann toben auch wieder Kinder über das Gelände, die zum Hof gehören. Sabine Wendt freut sich schon darauf.

Leute aus der Stadt, die mit Kohle winken – dem Klischee nach greift da jeder Bauer zur Forke und jagt sie vom Hof. So aber war es nicht, sagt Maritta Stille von der „Aktion Kulturland“: „Der Gedanke, anders zu arbeiten, war bei den Landwirten schon da“