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Protest gegen WohnungsabrissPlanungsfuror in der Heide

In Bad Fallingbostel sollen Wohnblöcke der abgezogenen britischen Soldaten abgerissen werden. Viele Wohnungen sind allerdings erst saniert worden.

Kamen unerwartet gut an: ehemalige Militärwohnblocks in Bad Fallingbostel. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

BREMEN taz | Die AnwohnerInnen des Bad Fallingbosteler Wohnviertels Wiethop sind auf die Straße gegangen. Denn: Sie könnten einem „Umbaukonzept“ zum Opfer fallen, das den „Rückbau der ehemaligen britischen Wohnquartiere zur Entwicklung eines neuen Wohngebietes“ bedeutet – so steht es jedenfalls auf dem großen Schild an der potenziellen Baustelle. Und dieser Rückbau beträfe fast 500 Menschen.

Im niedersächsischen Bad Fallingbostel lebten bis ins Jahr 2015 viele britische Soldaten. Die Stadt rechnete nach ihrem Abzug mit Leerstand und Verfall. „Ich bin damals bestellt worden, erst für 24 Wohnungen, später dann nochmal für 156 Wohnungen“, sagt die Immobilienverwalterin Carola Fernau. Sie habe den Auftrag erhalten, diese leer gewordenen Wohnungen zu vermieten, „und das habe ich getan – zum marktüblichen Quadratmeterpreis. Die Stadt fand das gar nicht toll, weil sie dachte, so würden sich niemals Mieter finden.“

Aber es kam anders: „Die Nachfrage war riesig. Hier gibt es viele Wohnungen für Familien mit Kindern und dann auch noch welche, die alle erst 2009 saniert worden sind. Fast neue Bäder, komplette Küchen – die Leute mussten da nur noch ihre Möbel reinstellen.“ 2015 wurden Fassaden und Treppenhäuser einiger Wohnblocks saniert, sie bekamen neue Schließanlagen, Außenanlagen und einen Kinderspielplatz.

Leerstand prognostiziert

Diese Entwicklung entsprach allerdings nicht dem „integrierten Stadtentwicklungskonzept“ (Isek) für Bad Fallingbostel, das bereits 2014 begonnen wurde, im April 2015 fertig war und in drei städtischen Sanierungsgebieten Leerstand prognostizierte. Wörtlich heißt es da: „Soll verhindert werden, dass der lokale Wohnungsmarkt durch das plötzliche Überangebot zusammenbricht, müssen die überschüssigen, nicht marktfähigen Wohneinheiten vom Markt genommen werden.“ Dies bedeute, heißt es weiter: „vollständiger Abriss der Mehrfamilienhäuser in der Siedlung Wiethop, Aufbereitung der Grundstücke, Neuentwicklung als Einfamilienhausgebiet auf einer Teilfläche sowie als Grün- oder Erholungsbereich“.

An diesen Plänen hält Bad Fallingbostel fest. Denn auf Grundlage des Isek bekommt die Stadt Geld: „4,2 Millionen Euro vom Land Niedersachsen, 4,2 Millionen vom Landkreis unter der Voraussetzung, dass wir selbst auch noch einmal 4,2 Millionen beisteuern“, sagt Benjamin Platkowski, zuständiger Sachbearbeiter für die Sanierungsgebiete der Stadt. „Dieses Geld wird komplett in den Ankauf der Wohnungen gesteckt.“ Die Bewilligung der 4,2 Millionen Euro vom Land ist bis zum Jahr 2020 befristet – und wird auch nur dann gezahlt, wenn tatsächlich mit dem Abriss begonnen werden kann.

Dafür muss die Stadt mit enorm vielen EigentümerInnen verhandeln: Allein im Verwaltungsbereich von Carola Fernau sind es über 140. „Und kein einziger davon will verkaufen“, sagt sie. Kein Wunder, denn die Stadt bietet für eine leerstehende, über 70 Quadratmeter große Wohnung gerade einmal 16.000 Euro. „Wenn eine Wohnung vermietet ist, wird je nach Einzelfall natürlich mehr gezahlt“, sagt Platkowski. Aber wie viel das sei, könne er nicht sagen: „Das ist natürlich immer eine Einzelfallentscheidung.“ Dafür müsse ein Vertragswertverfahren zu Grunde gelegt werden – und das dafür notwendige Gutachten vom Eigentümer selbst beauftragt und bezahlt werden.

Es sei ja nicht abzusehen gewesen, sagt Platkowski, dass so viele Menschen in die Häuser einziehen: „Die kamen ja erst Ende 2015, da war das Isek ja schon fertig.“ Dass sich das Entwicklungskonzept in seiner Prognose für das Gebiet Wiethop schlicht vertan hat – zwischen Abzug der Briten und Neubezug der Wohnungen lagen ja nur sechs Monate – mag er nicht zugeben: „Frau Fernau ist ja nicht nur Verwalterin, sondern auch Maklerin.“ In dieser Funktion sei es für sie bestimmt einfacher als gewöhnlich gewesen, die Wohnungen zu vermieten.

„Hier gibt es viele Wohnungen, die enorm gefragt sind: nämlich welche für Familien mit mehreren Kindern. Andere Städte und Kommunen dürften die Stadt Bad Fallingbostel um das bestehende Wohnungsangebot beneiden“, widerspricht Fernau. Familien aus Hannover oder Itzehoe seien nach Bad Fallingbostel gezogen, weil sie dort endlich bezahlbaren Wohnraum gefunden hätten. „Und für die gibt es hier im Falle des Abrisses keine Alternative.“

Fernau räumt ein, dass es auch leerstehende und verfallene Mehrfamilienhäuser in den ehemaligen Briten-Siedlungen gibt. „Die können ja auch gerne abgerissen werden – auf den Grundstücken könnte man gut ergänzend neu bauen, zum Beispiel Doppelhäuser.“ Es gebe insgesamt fünf Verwaltungen für die Häuser in den Sanierungsgebieten: „Die hätte man doch einfach mal alle an einen Tisch holen können, um wirklich strukturiert einen Plan auszuarbeiten“, sagt Fernau. Das sei aber nie geschehen.

Protest provoziert

Stattdessen sind WohnungseigentümerInnen und MieterInnen des Quartiers Wiethop vor zwei Wochen auf die Straße gegangen, um gegen die Umbaupläne zu protestieren – und den gegenwärtigen Zustand ihres Viertels. Denn das, sagt Fernau, werde immer unattraktiver: „Die Straßenbeleuchtung wird nicht repariert, die Straßen werden nicht saniert, Kabel Deutschland kann das Quartier nicht erschließen, weil es sich um ausgewiesenes Sanierungsgebiet handelt.“ Der Bund der Steuerzahler hat sich auch bereits in Fallingbostel erkundigt, ob dort möglicherweise sinnlose, steuergeldfinanzierte Abrissmaßnahmen geplant seien, der NDR berichtete über die Proteste und den Unmut in Bad Fallingbostel.

Vielleicht ist all das der Grund, warum die Stadt nun zögerlich einzulenken scheint: „Die Pläne werden im Zuge eines städtebaulichen Rahmenplans noch konkretisiert“, der einen Teilbereich der Sanierungsgebiete anders bewerte als das Isek, sagt Platkowski in schönstem Beamtendeutsch. „Das ist aber noch nicht rechtsverbindlich und wird sicher nicht vor Februar oder März 2018 beschlossen.“ Nach wie vor gelte deshalb der derzeitige Beschluss, „alles aufzukaufen“.

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