: Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück
Union, FDP und Grüne einigen sich bei Arbeit, Rente, Sicherheit und Bildung auf ein paar Themen. Doch die Knackpunkte bleiben vage – und manchmal ist die Einigkeit nur gespielt
Von Ulrich Schulte
Wahrscheinlich käme ein Jamaika-Bündnis viel flotter zustande, wenn die VerhandlerInnen ab und zu einen durchzögen. Ein Unions-Sondierer bat den Grünen Michael Kellner bei der letzten Runde um einen Joint. Im Scherz, gekifft wurde dann nämlich doch nicht. Und die Idee der Ökopartei, den Konsum von Cannabis zu entkriminalisieren, ging über die Wupper. Nur eine dürre Ankündigung, über Fragen der kontrollierten Abgabe und der medizinischen Versorgung zu sprechen, schaffte es in ein Ergebnispapier.
Und sonst? Sind die Sondierer von CDU, CSU, FDP und Grünen produktiv in die Woche gestartet. Die Verhandler verständigten sich bis zum späten Montagabend auf Eckpunkte bei Arbeit, Rente, Gesundheit, Innere Sicherheit, Bildung und Digitalisierung. Nach Verwerfungen beim Klimaschutz und bei der Flüchtlingspolitik gaben sich alle Mühe, besonders konstruktiv zu wirken. Grünen-Bundesgeschäftsführer Kellner sagte, der Pulverdampf sei wohl mit dem Wind vom Wochenende verflogen – und betonte die „sehr gute Arbeitsatmosphäre“.
Das Ende der Sondierungsphase ist in Sicht. Die Grünen gaben bekannt, ihren Parteitag auf den 25. November zu legen. Dann sollen die Delegierten entscheiden, ob Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden können. Mit den Sondierungen müssten die Partner in spe vorher durch sein, damit Ergebnisse vorliegen. Der Grünen-Parteitag gilt als größte Hürde für ein Bündnis. Gerade linke Grüne stehen der Kooperation mit dem ehemals feindlichen Lager kritisch gegenüber. Bei diesen Themen haben sich die Verhandler verständigt:
Arbeit und Rente: Als Ziel nimmt sich das Jamaika-Bündnis Vollbeschäftigung vor. Damit übernehmen die Sondierer eine Ankündigung der Kanzlerin aus dem Wahlkampf. Außerdem wollen sie die Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent stabilisieren. Um das zu erreichen, soll diskutiert werden, ob der Beitrag der Arbeitslosenversicherung gesenkt und versicherungsfremde Leistungen wie die Mütterrente aus Steuern finanziert werden könnten. Letztere hatte die Große Koalition aus der Rentenkasse bezahlt – trotz harscher Kritik von Opposition und Experten.
Das Bündnis will zudem über das Arbeitszeitgesetz sprechen, das die zulässige Arbeitszeit pro Tag begrenzt und Ruhepausen vorschreibt. Die FDP will hier Flexibilisierungen. Auch beim Mindestlohn seien Fragen von Bürokratie oder Dokumentationspflichten zu prüfen. Die FDP wünscht sich, dass kleinere Betriebe Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter nicht mehr genau aufschreiben müssen. Die Grünen sind dagegen. „Für uns Grüne sind diese Errungenschaften keine Verhandlungsmasse“, sagte Parteichefin Simone Peter am Dienstag der dpa. Der Streit zeigt, dass Jamaika-Papiere friedliche Einigkeit oft nur vortäuschen.
Bei der Rente taucht in dem Papier der Ausbau der Mütterrente auf, den sich die CSU wünscht. Auch vom flexiblen Renteneintritt, einem Anliegen der FDP, ist die Rede. Schließlich möchten die Partner Menschen, die lange gearbeitet und vorgesorgt haben, eine Rente über Grundsicherungsniveau zugestehen. Hierzu gebe es verschiedene Modelle. Die Grünen werben zum Beispiel für eine Garantierente.
Oft listen die Verhandler also Wünsche einfach auf, ohne sie zu priorisieren oder zu verrechnen. Und die Formulierungen sind meist vage. Über diese Frage, heißt es dann gerne, werde weiter zu sprechen sein.
Inneres und Sicherheit: Die Verhandler versprechen eine „neue Balance“ aus Sicherheit und Freiheitsrechten. Und mehr Stellen für Polizei und Justiz. Beim Kampf gegen Terrorismus sollen Bund und Länder stärker zusammenarbeiten. So dürfte das Bundesamt für Verfassungsschutz künftig mit Ländern vereinbaren, den dortigen Verfassungsschutz zu übernehmen – auf freiwilliger Basis. Der CDU-Innenminister hatte sich eine stärkere Zentralisierung gewünscht, weil es zwischen den Behörden diverse Abspracheprobleme gegeben hatte.
Außerdem wollen die Verhandler die Videoüberwachung ausbauen. Ihr Einsatz, so das Papier, könne an Kriminalitätsschwerpunkten gegebenenfalls auch befristet angeordnet werden. Diese Idee könnte die Basis von FDP oder Grünen kritisch sehen. Die Ökopartei hatte sich für Überwachung an gefährlichen Orten in ihrem Programm aber schon offen gezeigt. Mehrere strittige Fragen, etwa die der Speicherung von Daten oder der automatisierten Gesichtserkennung, werden in dem Papier ergebnisoffen aufgelistet.
Digitalisierung: Die Jamaika-Verhandler heben hervor, dass es von zentraler Bedeutung für Deutschland sei, die Chance der Digitalisierung zu nutzen. So soll der Breitbandausbau in Gigabitgeschwindigkeit (Kommentar der taz-EDV: „Das wäre schon ganz ordentlich.“) flächendeckend bis 2025 passieren. Auch hier bleibt der Knackpunkt offen, nämlich der der Finanzierung. Über sie „ist zu sprechen“, heißt es vage.
Bildung: Beim Kooperationsverbot, einem brisanten Thema, fahren die Verhandler ihre bewährte Strategie. Sie versprechen, darüber zu sprechen. Mehr ging wohl nicht. Bis zum Jahr 2025 wollen sie zudem mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung ausgeben. An dem gut klingenden Versprechen sind schon zwei Vorgängerregierungen gescheitert.
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