Alke Wierth plädiert für die Wiedereinführung eines kostenlosen Sperrmülltags: Schön wie wir und arm wie wir
Es gibt so Tage, da kann einem von dem Müll auf den Straßen meines ansonsten sehr geliebten Kiezes in Nordneukölln buchstäblich schlecht werden. Etwa, nachdem auch dort der Sturm Xavier Bäume umgerissen hatte. Um deren Überreste türmten sich über Nacht aufgeplatzte Müllsäcke, zerbrochene Spanplatten, zerrissene Matratzen. Auf festgetrockneten Farbresten in einem alten Eimer schwammen in einer Wasserlache ein halb gegessener Döner und eine aufgeplatzte Tüte Hundekot. Sollten Sie gerade beim Frühstück sitzen, stellen Sie sich den Geruch dazu jetzt besser nicht vor. Wer macht so etwas, fragt man sich da, wer ist tatsächlich so, ja: asozial, seine eigene Umwelt und die seiner NachbarInnen so zu verschandeln – denn weit schleppt eine alte Matratze doch vermutlich keiner, oder?
Doch wer selbst in die Lage gerät, alte Möbel zu entsorgen, entwickelt ein gewisses Verständnis für die, die das auf illegale Weise tun. Denn der legale Weg – der Abtransport von Sperrmüll durch die BSR – kostet: Wer seine Matratze nicht selbst zum Recyclinghof bringen kann, wird dafür mindestens 96 Euro los – ab zwei Kubikmeter steigen die Preise. Wer also 300 Euro in ein neues Bett investiert, kann 200 für die Entsorgung des alten loswerden – nicht wenig in einem Bezirk wie Neukölln, wo angesichts explodierender Mieten immer mehr Leute von der Hand in den Mund leben.
Ein schönes Angebot
„Schön wie wir“ heißt das von der Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) aufgelegte Bezirksverschönerungsprogramm (in dessen Rahmen gestern übrigens auch illegal entsorgte Matratzen eingesammelt wurden). An das „arm wie wir“ hat die schöne Bürgermeisterin dabei aber wohl nicht gedacht. 50.000 Euro Strafe droht der Bezirk illegalen MüllentsorgerInnen an.
Wie wäre es stattdessen mit der Wiedereinführung eines kostenlosen Sperrmülltags, an dem die NeuköllnerInnen dann auch noch einem ihrer Lieblingshobbys, dem Sachenverschenken, frönen könnten? Oder einer einmal jährlich kostenlosen Abholung für AnwohnerInnen, die ja über ihre Betriebskosten eh schon BSR-Gebühren zahlen?
Niemand wohnt gerne zwischen Dreckhaufen. Und am Ende ist es auch bei der illegalen Entsorgung doch der Bezirk, der die Kosten trägt. Warum also den armen NeuköllnerInnen nicht mal ein schönes Angebot machen? Denn um die geht es: Wer die 50.000 Euro Strafe bezahlen kann, kann sich auch den BSR-Service leisten. Von den anderen wird der Bezirk wohl kaum tatsächlich 50.000 Euro eintreiben können.
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