Vietnamesischer Machtpoker: Spielball in Fraktionskämpfen der KP
Von dem nach Vietnam entführten Ex-KP-Kader Trinh Xuan Thanh fehlt jedes Lebenszeichen. Auch die Anwälte haben keinen Zugang.
Von der Polizei in Berlin ausgewertete Spuren am Entführungsfahrzeug dokumentieren Misshandlungen und den Einsatz von Betäubungsspray. Anfang August war Thanh im vietnamesischen Staatsfernsehen vorgeführt worden. Dabei sah er aus, als wäre er unter Drogen gesetzt worden. Seitdem fehlt jedes Lebenszeichen von ihm.
„Seiner Familie wird nur erlaubt, persönliche Sachen ins Gefängnis zu bringen. Aber sie wissen nicht, ob er das tatsächlich erhält“, sagt Schlagenhauf. Angesichts der Entwicklungen müsse man „bei einem Unrechtsstaat wie Vietnam mit dem Schlimmsten rechnen“. Damit meint die Anwältin die Todesstrafe.
Thanh wird vorgeworfen, während seiner Zeit als Chef einer Tochterfirma des staatlichen Ölkonzerns PetroVietnam von 2010 bis 2013 für 42 Millionen US-Dollar Verluste verantwortlich gewesen zu sein. Darauf steht die Todesstrafe.
Ende September wurde in Hanoi der Ex-Chef des staatlichen Ölkonzerns Nguyen Xuan Son wegen Untreue zum Tode verurteilt. In selben Verfahren erhielt der Vorstandschef der Bank des Ölkonzerns lebenslängliche Haft. 49 weitere Ölmanager bekamen lange Haftstrafen wegen Untreue und Unterschlagung.
KP-interner Machtkampf
Die eigentliche Grund der Verfolgung der Ölmanager ist aber ein Machtkampf innerhalb der Kommunistischen Partei, Vietnams einziger legaler Partei. Darin kämpfen der Flügel der Wirtschaftsreformer, geführt vom 2016 abgesägten Ministerpräsidenten Nguyen Tan Dung, mit dem Flügel chinafreundlicher konservativer Ideologen, geführt vom 73-jährigen Parteichef Nguyen Phu Trong. Die konservativen Ideologen werden von China unterstützt und streben engere Bande an das Reich der Mitte an.
Seit Anfang 2016 sind die Wirtschaftsreformer in der Defensive. Viele ihrer Vertreter verloren ihre Ämter. Ziel der konservativen Ideologen ist es, diesen Flügel vollständig zu zerschlagen und seine Protagonisten vor Gericht zu zerren. Da kommt es gelegen, dass viele Vertreter des Wirtschaftsflügels biografische Stationen im staatlichen Ölkonzern oder seinen Tochterfirmen hatten.
Tatsächlich ist die Korruption in Vietnam verbreitet und systemimmanent. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International liegt Vietnam auf Rang 113 von 176 Staaten.
Von dem in Berlin entführten Trinh Xuan Thanh erhofft man sich Zeugenaussagen gegen seine politischen Ziehväter wie den Ex-Ministerpräsidenten und zwei Ex-Minister. Thanh hat in Berlin in einem oppositionellen Blog erklärt, der Parteichef hätte ihn zum persönlichen Feind Nummer eins erklärt.
Korruptionsbekämpfung als Vorwand
Thanh hatte die Veröffentlichung von Unterlagen angekündigt, die den Flügelkampf belegen. Doch kam die Veröffentlichung nicht mehr zustande. Die Korruptionsvorwürfe hatte Thanh von Berlin aus mit der Begründung zurückgewiesen, die Verluste wären vor seiner Amtszeit entstanden sowie aus der Notwendigkeit heraus, verlustreiche Unternehmen aufzukaufen, dem er sich nicht hätte widersetzen können. Auch das wollte er belegen, wozu er nicht mehr kam.
Deutschland hat die Rückkehr des entführten Thanh gefordert oder zumindest in Vietnam ein Verfahren unter internationaler Beobachtung, dazu eine Entschuldigung der vietnamesischen Seite sowie eine Zusage, einen solchen Vertrauensbruch nicht mehr zu begehen. Doch nichts deutet darauf hin, dass Vietnam auch nur winzigen Schritt auf die deutsche Seite zugeht.
So wurden diesen Herbst die Parteichefs von Ho-Chi-Minh-Stadt und Da Nang, der größten und viertgrößten Stadt des Landes, gefeuert. Als Gründe wurden Korruption und das Führen eines falschen akademischen Titels genannt. Beide Männer waren Wirtschaftsreformer.
Da es in Vietnam Tradition ist, dass der Parteichef der Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt nach einigen Jahren mit einer der höchsten Funktionen – wie etwa des Parlamentspräsidenten oder des Parteichefs – belohnt wird, sollte dies offenbar verhindert werden. Sehr wahrscheinlich werden diese und weitere gestürzte Ex-Funktionäre auch bald inhaftiert werden.
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