Ausstellung über eine andere Welt: Die Lust an der Apokalypse
Eine Ausstellung in Oldenburg widmet sich Vorstellungen von einer anderen Welt. Wenn das Wohl der Menschen nicht der Grund für Umwälzungen ist, wartet der Untergang
In vielen der Arbeiten der internationalen Künstlerinnen und Künstler, die die Kuratorin Joanna Sokołowska für die Ausstellung ausgewählt hat, erscheint Umsturz als ein notwendiger, automatischer Prozess – ganz ohne Bewusstsein und Perspektive.
Der Umsturz ist hier meist ein Untergang. Nicht, dass der Mensch unter den bestehenden Verhältnissen nicht ebenfalls unter die Räder geriete. Aber darum scheint es hier in der Oldenburger Ausstellung, wenn überhaupt, nur vordergründig zu gehen. Ganz so, als würde die Lust an der Apokalypse durch eine berechtigte Kritik am Bestehenden nachträglich gedeckelt werden. Das ist nicht das Programm einer jeder ausgestellten Arbeit, aber eine Grundtendenz in der Haltung.
Titelgebend für die Schau ist eine Zeile aus einem Gedicht, das der 1962 in Simbabwe geborene Autor Chirikure Chirikure verfasst hat und die lautet: „Denn hinter jedem Horizont liegt ein anderer Horizont“. Dieses Gedicht ist Teil einer Filmarbeit des Künstlerduos Mona Vătămanu und Florin Tudor, die in der Ausstellung zu sehen ist.
Der 2013 fertiggestellte Film „The Order of Things“ spielt in einer arabischen Bäckerei in Berlin-Kreuzberg. Die Geschichte beginnt mit der alltäglichen Verrichtung des Backens von Brot. In einem schummrigen Raum sieht man Händen dabei zu, wie sie Teig zu Kugeln formen. Vătămanu und Tudor wechseln schon bald zum Großen, Übergeordneten.
Plötzlich taucht ein Globus auf, der wie eine Frucht mit einem Messer zuerst halbiert und dann geviertelt und dann in Streifen gerissen wird. Aus den Landkartenschnipseln wird eine Pyramide geformt, die schließlich mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt wird. Weiter sieht man das Feuer dann im Holzofen, wo es die Brote backen lässt. Es ist eine merkwürdige Symbolik, die Vernichtung als schöpferisches Moment feiert.
Man denkt an das Gleichnis vom Vogel, das der vor wenigen Jahren verstorbene Filmkünstler Harun Farocki so gerne benutzte: dass man nämlich vom Vogel über das Fliegen nichts lernen wird, wenn man ihn frisst. Der Horizont gerät in Bewegung, indem man die Erde befährt, sein Modell, den Globus dreht. Bei einem aufgeschnittenen Globus fällt der Horizont an den Rand, von jeder Stelle aus blickt man in immer denselben Abgrund, ein verbrannter Globus hat keinen Horizont. Die andere Welt ist keine mehr.
Eine ähnlich dumpfe Form archaischer Fantasie finden wir in der Arbeit der Künstlerinnen Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová. „Things in Our Hands“ aus dem Jahre 2014 ist eine Gruppe silberner Metallplastiken, die Abdrücke von Händen aufweisen. Ganz so, als hätte jemand das harte Material in der Faust geformt.
Chişa und Tkáčová spielen in ihrem Werk oft mit der Transformation von Stoffen. In der Vergangenheit produzierten sie etwa Bücher, deren Seiten in LSD getränkt waren oder filterten mithilfe des eigenen Verdauungsapparats psychoaktive Substanzen aus Pilzen. Aus ihrem Urin stellten sie mithilfe von Gelatine halluzinogene Bonbons her. Im Falle der „Things in Our Hands“ waren es Euromünzen, die sie einschmolzen und zu jenen Klumpen verarbeiteten, die sie nun im Oldenburger Russ-Haus als Relikte einer vergangenen Zeit auf schwarzen Schaumstoffsäulen präsentieren.
Dass Geld als Wertträger unserer Wirtschaft einmal als rätselhafter Rest im Museum landet, ist eigentlich eine schöne Vorstellung. Mit der hier gewählten Form der Verarbeitung aber verweisen die beiden Künstlerinnen nicht in eine Zeit, die nach dem Kapitalismus liegt, sondern davor. Es handelt sich gewissermaßen um eine negative Form der Auflösung des Kapitalismus. Jedes Zurück ist regressiv und entbehrt jedweden utopischen Gehalts.
Momente der Vergangenheit finden sich auch in der Videoarbeit des Kollektivs Sin Abeza Productions. Sie finden sich dort nicht bloß, sondern werden in geradezu mythischer Weise überhöht. „Seeds . Visual Scapes from the Future“ ist der Titel der im Jahr 2013 entstandenen 4-Kanal-Videoarbeit. Man sieht junge Frauen in durchsichtigen Badekostümen und bemalten Gesichtern sich durch Korridore schieben und eine Treppe auf und ab laufen. Das Szenario erinnert an einen Techno-Club, vielleicht auch an eine Strip-Bar. Was äußerst angenehm ist – es scheint so, als täten sie all das, was sie tun, ausschließlich für sich.
Die Videoinstallation ist die lauteste Arbeit der Ausstellung. Sie füllt mit ihren zwei hintereinander gehangenen Monitoren und der Parallelprojektion einen großen Raum vollständig aus. Gleichzeitig ist sie farbig und schrill und es gibt seltsame Szenen zu sehen. Vieles von dem, was geschieht, ist sehr körperlich, lustvoll und obszön.
In Nahaufnahme sieht man nackte Füße, die erst Erde, dann eine kleine Pflanze in einen Blumentopf stecken. Wiederum eine Nahaufnahme zeigt die große Zunge eines Hundes über die Wange einer Frau schlecken. Irgendwann berühren sich ihre Zungen sogar. Drei andere Frauen ringen halbnackt miteinander auf einem Dach und wälzen sich in hartgekochten Eiern, die dann an ihren Körpern kleben bleiben. Jede dieser Szenen ist für sich genommen eklig, anarchisch und schön. Als programmatischer Rückgriff auf Natur als das „Echte“, zu dem es zurückzukehren gilt, sind sie nicht schön, sondern falsch.
Ausstellung: „Denn hinter diesem Horizont liegt ein weiterer Horizont“, Edith-Russ-Haus, Oldenburg. Bis 14. Januar 2018.
Der Autor ist Betreiber der Galerie K´ in Bremen.
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