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berliner szenenIn Barcelona bin ich viel mehr vivo

Am U-Bahnhof Ruhleben spricht mich eine ältere Dame an: „Wissen Sie, ob die Bahn Richtung Hausvogteiplatz fährt?“ Ich nicke und zeige ihr den Plan: „Ruhleben ist die Endstation. Die U2 fährt nur Richtung Pankow.“ Sie lacht: „Auf der Karte sieht das ja kinderleicht aus.“ Und erzählt, sie sei am Wittenbergplatz in die Irre geleitet worden.

In der Bahn setzt sie sich neben mich und sagt: „Ich war ja schon froh, dass mir überhaupt jemand antwortet und nicht nur: ‚Weeß ick doch nich‘ blökt. Und dann schickt der mich ans Ende der Welt.“ Nach einer kurzen Pause fragt sie: „Was ist das nur mit dieser unhöflichen Schnoddrigkeit hier? Und warum sind die Berliner auch noch stolz auf die Berliner Schnauze?“

Ich denke an die Frau, die mir am Tag zuvor „Aus’m Wech, du Pissnelke!“ an den Kopf geknallt hat, weil ich beim Einsteigen in den Bus auf der Fahrradspur stand, und zucke mit den Schultern. Die ältere Dame erklärt: „Ich kann mit dieser Stadt immer weniger anfangen. Ich bin nur hier, um meinen Sohn zu besuchen.“

Sie erzählt, dass sie in Barcelona lebe und daher verstehe, wenn Einwohner bisweilen genervt von Touristen seien. „Aber nach Jahren in Spanien ist die Kühle hier ein wahrer Kulturschock. Dort würden die Menschen eine alte Frau begleiten, wenn sie sich verfährt.“ Sie denkt nach und meint dann: „Aber Identität beginnt ja mit Sprache. Und das Spanische ist einfach viel emotionaler. Ich merke das an mir selbst. Wenn ich spanisch spreche, bin ich viel mehr vivo.“ Sie lacht.

„Aber jetzt haben Sie meinen Tag gerettet. Für das Gespräch hat es sich gelohnt, durch die Gegend gefahren zu sein. Ich hoffe nur, ich habe Sie von nichts abgehalten?“ Ich blicke auf. Zoologischer Garten. Ich bin fünf Stationen zu weit.

Eva-Lena Lörzer

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