piwik no script img

Frauen wollen singen

Waren „Liedermacher“ früher meist Politbarden, so ist die Singer-Songwriter-Szene heute viel weiblicher – und das Motto der kommenden Plattenwoche

Früher spielte die südafrikanische Songwriterin Alice Phoebe Lou auf der Warschauer Brücke, heute in ganz Europa Foto: Ben Kriemann/POP-EYE

Von Jens Uthoff

Egal wen man fragt: Bei dem Begriff „Liedermacher“ denken eigentlich alle an alte Männer mit Klampfe und sozialkritischer Message: Wolf Biermann, Hannes Wader, Konstantin Wecker, Reinhard Mey – und zig weitere. Das Wort „Liedermacher“ wurde hierzulande nie so weit ausgelegt wie der „Singer-Songwriter“ im angloamerikanischen Raum. Näher war es schon am französischen „Chansonnier“. Aber eigentlich war der Liedermacher eine deutsche Kategorie für sich.

„Liedermacher“ ist das diesjährige Motto der am Montag beginnenden Plattenladenwoche, die eine Hommage an die kleinen Schallplattenläden der Republik ist und die auch in Berlin von Aktionen und Veranstaltungen gerahmt ist (s. Kasten nebendran).

Nimmt man nun die aktuelle Berliner Liedermacherszene in den Blick, muss man diesen Begriff weiter definieren. Und weiblicher. Denn aktuell kann man an der Spree durchaus von einer florierenden Singer-Songwriter-Szene sprechen – nur ist die eben nicht zwingend deutschsprachig, eher international und nicht ideologisch festgelegt. Und es sind auch eine Menge Frauen dabei.

Die Plattenladenwoche

Die Veranstaltung

beginnt kommenden Montag und endet am 21. Oktober. Sie wird begleitet von einer Reihe von Events.

Filme und Konzerte

Am Montag wird bei VoPo Records (Danziger Str. 31) um 18.30 Uhr „El Viaje – ein Musikfilm mit Rodrigo Gonzales“ gezeigt, tags darauf der Film „You’ll never walk alone“ (ebenfalls 18.30 Uhr). Am Freitag, 20. Oktober gibt es ebenfalls bei VoPo ein Konzert mit Haudegen. Und am Mittwoch, den 18. Oktober spielt im Plattenladen Oldschool die Folk-Band Von Eden (Walter-Benjamin-Platz 2, 19.30 Uhr). (jut)

„Die Singer-Songwriter-Szene in Berlin ist extrem divers“, sagt Kai Müller, der einmal im Jahr das Melodica-Festival veranstaltet, bei dem der Schwerpunkt auf handgemachter Musik liegt. „Wobei man eigentlich gar nicht von einer einzigen Szene sprechen kann; es sind sehr viele verschiedene Szenen, die sich überlagern.“ Dadurch, dass Berlin so viele Leute aus aller Welt anziehe, habe diese Community eine „spezielle Farbe“. Und „die Szene wird von den Musikerinnen und Musikern lebendig gehalten“, so Müller – dies geschehe dadurch, dass viele gut vernetzt seien und sich gegenseitig unterstützten.

In letzter Zeit haben sich in Berlin einige Treffpunkte für Akteure und Fans dieser Stilrichtungen etabliert. So gilt der offene Abend im ­Kreuzberger Madame Claude als Ort, an dem sich die Szene trifft („Open Mic L. J. Fox“, jeden Sonntagabend). Diese Open Stages gibt es in fast jedem Bezirk, in Mitte etwa im Schokoladen einmal im Monat oder in der Nussbreite im Wedding jeden zweiten Donners­tag. Im Neuköllner Ganghoferkiez wurde mit dem Prachtwerk eine Location ins Leben gerufen, wo regelmäßig Singer-Song­writer-Abende stattfinden.

Der Übergang zur Straßenmusikerszene ist dabei fließend. So erzählt „Melodica“-Veranstalter Müller etwa, er habe die Sängerin Daiana Lou beim Mauerpark-Karaoke erstmals wahrgenommen – um sie kurz darauf fürs Festival zu buchen. Auch die Erfolgsgeschichte der südafrikanischen Songwriterin Alice Phoebe Lou begann draußen: auf der Warschauer Brücke, wo sie vor mehr und mehr Zuhörern ihre Songs spielte. Inzwischen gibt die heute 24-Jährige Konzerte in ganz Europa.

Stilistisch ist die Berliner LiedermacherInnenszene kaum einzugrenzen. Da sind eher „klassische“ Liedermacherinnen wie Dota Kehr oder Max Prosa, die in dieses Genre passen. Indie-­Größen wie Gisbert zu Knyp­hau­sen (der Ende des Monats ein neues Album veröffentlicht) oder ­Masha Qrella sind ebenfalls dazuzurechnen. Und dann wäre da noch die Durchlässigkeit zum Kabarett- und Lesebühnensektor – auch Rainald Grebe und Sven van Thom laufen wohl am ehesten unter „Liedermacher“.

„Der Zuzug von sehr talentierten Musikern aus dem Ausland reißt nicht ab“

Booker Martin Abend

Die Geheimtipps hat dann Prachtwerk-Booker Martin Abend am Telefon parat, wenn er erzählt, dass zum Beispiel der Berliner Gitarrist Pan Chimzee oder der US-Songwriter Benjamin Seidl und seiner Frau Jasmin Seidl schon tolle Auftritte hingelegt hätten – Ersterer mit perkussivem Fingerstyle-Gitarrenspiel (einer Zupftechnik), Letzterer mit getragenem Indie-­Folk. „Der Zuzug von sehr talentierten Musikern aus dem Ausland reißt nicht ab“, sagt Abend.

Davon profitiert auch Greywood Records. Das Label, vor vier Jahren gegründet, verlegt sich vor allem auf ­folkige Klänge. In diesen Tagen erscheint dort zum Beispiel das neue Album des Australiers Michael Brinkworth, der – na klar – inzwischen in Berlin lebt. Die Liedermacherei, kann man also konstatieren, ist im Berlin des Jahres 2017 en vogue wie lange nicht – nur nennt sie sich vielleicht heute nicht mehr so.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen