piwik no script img

Lüstern und trunken

Das Landesmuseum Hannover widmet sich der Kunst des Alters und da wird schnell klar: Alternde Frauen haben es schwerer als verwelkende Männer

Stigmatisiert: der verfallende weibliche Körper Abb.: Hanns Sprung, Trinkerin, 1911, Leihgabe der Stadt Hannover, Landesmuseum Hannover

Von Bettina Maria Brosowsky

„So ist nun mal die Zeit allhie, erst trägt sie dich, dann trägst du sie; und wann’s vorüber, weißt du nie.“ Das dichtete Wilhelm Busch bereits 1894 über das Alter. Dem Alter als sich ständig wandelndem kulturellen Konstrukt, dem individuellen Altern eines Menschen und seinem Lebensfinale widmet derzeit das Landesmuseum Hannover eine Ausstellung, das Museum für Karikatur Wilhelm Busch pariert mit Humoristischem aus seinem Fundus.

Wie von dem Bildungsauftrag eines kulturgeschichtlichen Museums zu erwarten, geht das Haus dem kunsthistorisch selten beleuchteten Thema mit Akribie nach und zeigt in neun Kapiteln mehr als 120 Exponate. Große Kunst von der ägyptischen Antike bis heute ist darunter – Leihgaben aus namhaften Museen. Aber auch Triviales aus Alltagskultur und Werbung.

Zum Auftakt empfängt ein Porträt von Helmut Schmidt. Schmidt selbst beauftragte 1986 den DDR-Maler Bernhard Heisig mit diesem Bildnis für die Bonner Galerie ehemaliger Bundeskanzler. Schmidt war damals 68 Jahr alt – ein Alter, in dem manch Politiker erst richtig durchstartet. Wie etwa Konrad Adenauer, fotografisch festgehalten von Robert Lebeck: Staatstragend und kerzengerade agiert hier der 80-Jährige beim Empfang Winston Churchills 1956 im Palais Schaumburg. Der Brite, damals bereits 82, zieht es hingegen vor, die Prozedur bequem sitzend über sich ergehen zu lassen. Diese Porträts illustrieren die Kapitel „Weisheit“ und „Macht“ des Alters, wer da geheimer Sieger ist, mag jeder selbst entscheiden.

Womit sich die Frage nach dem rechten Alter stellt, die schon Platon und Aristoteles schied. Der erste beharrte für seinen Idealstaat auf der Führungsqualität des hohen Alters, sah im Greis die „Ebenbilder der Vernunft“. Aristoteles differenzierte: Die körperliche Blüte wäre um die Lebensmitte zwischen 30 und 35, die geistig-seelische um das 49. Lebensjahr. Im Alter werde der Mensch dann schwach, selbstsüchtig, engherzig und berechnend.

Es wird also diffizil bei der Frage bildnerischer Mittel zur Darstellung des Alters als Autorität. Lukas Cranach etwa ließ zu Zeiten der Reformation massenweise Porträts des gar nicht mehr ganz jungen Martin Luther in seiner Wittenberger Werkstatt fertigen, auch als Bilderpaar mit dessen Ehefrau Katharina von Bora. Beide sind jedoch ohne erkennbares Alter wiedergegeben. Cranach griff also zum zeitlos idealisierten Typus im Geiste Aristoteles, primär zu Propaganda-Zwecken, besonders natürlich für die Ehegemeinschaft im Pfarrhaus als vitalem Gegenmodell zum Zölibat des Katholizismus.

Die klassische Moderne sah 400 Jahre später die Dinge ungeschönt. Lovis Corinth porträtierte 1911 eine grazile Magdeburger Kaufmannsgattin, sie trägt zufällig auch den Namen Luther. In edler Garderobe mit spektakulär großem Hut ruht sie souverän in sich. Aber Augenpartie und Hände zeigen deutliche Spuren des schon etwas länger währenden Lebens. Der Hund auf dem Schoß mag das altersgerechte Signet weiblicher Fürsorge sein. Schnell wird die ältere Frau so zum Objekt des Spottes oder der Karikatur. Vor allem, wenn sie im Alter nicht nur ihre Anziehungskraft, sondern auch ihren gesellschaftlichen Status einbüßt und verarmt. Ein eigenes Kapitel widmet sich prekären Umständen des Alterns, festgemacht am Rollenmodell des sozialen Absturzes, der trunkenen Alten.

Das Älterwerden, man spürt es selbst, ist leider auch ein Kampf der Geschlechter, nicht nur der Generationen. In männlich dominierten Gesellschaften wurden (und werden) an Frauen strengere Maßstäbe angelegt, vor allem an ihre körperliche Attraktivität. Der verfallende weibliche Körper ist stigmatisiert. Daniel Mauch stellte ihn bereits um 1520 durch eine kleine Holzskulptur in schonungslos naturalistischer Weise zur Schau.

„So ist nun mal die Zeit allhie, erst trägt sie dich, dann trägst du sie; und wann’s vorüber, weißt du nie“

Wilhelm Busch 1894 über das Alter

500 Jahre später kontert nun die US-amerikanische Fotografin Cindy Sherman, bekannt für ihre mitunter drastischen Selbstinszenierungen. Sie taucht in ihrer aktuellen Serie in die Rolle glamouröser Filmdiven aus den 1920ern ein, stellt ihre Publicity-Fotos nach. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Die gut 60-jährige Sherman, erneut ihr eigenes Modell, bekennt sich zum reiferen Alter. Und zeigt so ein Paradoxon auf, denn keine alternde Schauspielerin hätte noch derart groß angelegte Rollen erhalten, wie Sherman sie simuliert. Ihr Ruhm liegt in der Vergangenheit: als junge Filmschönheit. Sherman sendet damit bewusst ein politisches Signal in ein mentales Klima, in dem ein späterer Präsident die Frauen erinnern darf, dass es ab 35 Jahren „Zeit zum Auschecken“ sei.

Traditionell tabuisiert wurde die Sexualität des fortgeschrittenen Alters. Hier schneiden, zumindest in historischen Darstellungen, auch die Männer schlecht ab. Sie werden als tumbe, lüsterne Trottel dargestellt, die einer Susanna beim Bade auflauern. Um die keusche, die Alten abwehrende Schöne anschließend des Ehebruchs zu bezichtigen. Sollten ihnen dennoch junge Frauen gefällig sein, dann etwa als Kurtisanen oder nur mit der Absicht, den Alten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Von derart ungleichen Paaren weiß besonders die Karikatur zu erzählen.

Diese Kunstform pointierter Überzeichnung, einst von Renaissancekünstlern aus Überdruss an den ihnen abverlangten idealisierenden Darstellungsweisen entwickelt, geht mit dem Alter erstaunlich gnädig um. Zwar mag auch sie die holzschnitthafte Gleichsetzung von Alter und Alkohol, gesteht aber einem Sterbenden noch zu, den Sensenmann humorvoll zu ignorieren. „Schluss jetzt!“ ist der Titel des entsprechenden Blattes von Ernst Kahl. Und Schluss, so wünscht man sich, sollte auch mit dem ewigen Geschlechter- und Generationenkampf sein.

Ausstellungen: „Silberglanz. Von der Kunst des Alters“, Landesmuseum Hannover und „Schluss jetzt! Das Alter im Spiegel der Karikatur“, Museum Wilhelm Busch, beide bis 18. Februar 2018

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen