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Armes Hamburg, reiches Hamburg

Neue Statistik weist soziale Spaltung der 99 Hamburger Stadtteile nach. Zehn Quartiere unter der Armutsgrenze. Höhere Einkommen weisen auf Gentrifizierung in inneren Vierteln

Von Kaija Kutter

Es sind nur Zahlen, aber wohl die aussagekräftigsten, die eine Behörde liefern kann. Das Statistikamt-Nord stellte dieser Tage die Einkommensstatistik für das Jahr 2013 vor, und zwar für jeden der 99 Stadtteile. Die dazugehörige Karte stellt anschaulich dar, wie die Stadt auseinanderdriftet. Die Spanne reicht von 13.777 Euro bis 120.716 Euro als, wohlgemerkt, durchschnittlich zu versteuerndes Einkommen pro Bewohner.

Es werden Klischees bestätigt. Die Reichen wohnen in den Elbvororten, die höchsten Einkommen erzielen ­Nienstedten, Blankenese und Othmarschen mit Werten zwischen 120.000 und 108.000 Euro. In sieben Stadtteilen werden dagegen Jahres-Einkommen unter 21.194 Euro erreicht. Vier dieser Stadtteile gehören zum Bezirk Mitte: Kleiner Grasbrook/Steinwerder mit 13.777 Euro, Veddel (15.831 Euro), Hammerbrook (19.468 Euro) und Rothenburgsort (20.473 Euro).

Das Statistik-Amt gab diese Karte relativ unkommentiert heraus. Die Stadtentwicklungsbehörde hatte zuletzt 2016 ein „Sozialmonitoring“ vorgelegt, und kam zu dem Fazit, dass es zwar im Osten, Süden und in Osdorf und Lurup statistische Gebiete mit „nie­drigem“ Sozialstatus gebe, Tendenzen zu einer Polarisierung aber „nicht erkennbar“ wären.

Das sieht Studien-Autor Joachim Bischoff ganz anders. „Wir teilen diese Ansicht nicht“, sagt er. „Es gibt eine verfestigte soziale Kluft, die man nicht akzeptieren kann.“ Die Koexistenz von Reichtum und Armut in Hamburg werde „zum politischen Problem“. Der frühere Abgeordnete der Linkspartei, der erst kürzlich im Auftrag seiner alten Fraktion die Studie „Soziale Ungleichheit im Wohlstand – Reichtum und Armut in Hamburg“ vorstellte, hat eine erste Auswertung gemacht.

Bezirk Mitte ist am ärmsten

Was auffällt: Es gibt schon eine große Spreizung zwischen den Bezirken. Der Bezirk Mitte ist arm, Altona wohlhabend. Während in Altona die durchschnittlichen Einkommen bei 48.600 Euro liegen, sind es in Mitte mit 26.000 Euro nur ein wenig mehr als die Hälfte. Insgesamt hat Mitte nur 67 Prozent des Hamburger Durchschnittseinkommens, was bei 39.054 Euro liegt. Auch der Bezirk Harburg ist arm mit nur 77 Prozent, gefolgt von Bergedorf mit 85 Prozent. Wandsbek und Nord liegen im Mittelfeld. Altona und Eimsbüttel und Altona liegen mit 114 und 124 Prozent oben.

Freilich sind nicht alle Bürger dieser Bezirke reich. Auch in Altona gibt es arme Quartiere. Aufschlussreich sind die erstmals ausgerechneten „Medianwerte“, die ausweisen, wie viel die untere Hälfte allenfalls verdient. Hier hat Eimsbüttel mit 28.759 Euro einen etwas höheren Wert als Altona (27.176). Also hat die Hälfte der Altonaer diese Summe oder weniger. Im Stadtteil Altstadt etwa liegt der Durchschnitt bei 31.366 Euro und der Median bei 10.811 Euro. Es gibt also, obwohl das Viertel leicht aufstieg, ganz schön viele Arme.

Hat ein Bürger unter 60 Prozent des Medians, liegt er unterhalb der Armutsquote. Nimmt man hier als Bezugspunkt die Hamburger Lebenhaltungskosten, liegt die Armutsquote bei 18,3 Prozent. Die Stadt hat zugleich mit 12,6 Prozent die meisten „Einkommensreichen“, die mehr als den doppelten Median haben. Insgesamt liegen in zehn Stadtteilen die Einkommen unter 23.000 Euro und damit unter der Armutsgrenze: Außer den genannten zählen Dulsberg und Steilshoop sowie Wilhelmsburg dazu.

Wenig Lohn, viel Hartz IV

Die geringen Einkommen korrelieren mit einem hohen Anteil von Leistungsempfängern und Alleinerziehenden. „Es haben sich Quartiere herausgebildet, denen das Stigma der Armenviertel anhängt“, kritisiert Bischoff. So seien in Wilhelmsburg, Rothenburgsort, Billbrook und Billstedt 20 bis 30 Prozent der Bürger auf staatliche Hilfe angewiesen.

Auf der reichen Seite Hamburgs haben dagegen über 20 Stadtteile überdurchschnittliche Zuwächse von weit über zehn Prozent des Einkommens erzielt. Dazu zählen auch Stadtteile, in denen der Senat seit 20 Jahren „gezielt die Aufwertung fördert“, wie Bischoff sagt. In St. Georg und Ottensen zum Beispiel stieg das durchschnittliche Einkommen um 5.000 und 4.100 Euro im Jahr. Bischoff vermutet dahinter Gentrifizierung: „Da muss es eine Veränderung in der Bevölkerung gegeben haben.“ Die Armen müssen raus.

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