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Flüchtlingslager im Nordirak„Er war doch nur Koch beim IS“

Südlich von Mossul leben Familien, die Verwandte beim „Islamischen Staat“ hatten. Neben ihnen wohnen Familien, die vom IS terrorisiert wurden.

Iman Darwisch ist mit ihrer Familie aus Mossul geflohen Foto: Karim El-Gawhary

Salamiya taz | Auf den ersten Blick herrscht im Zeltlager Salamiya südlich der Stadt Mossul das ganz normale irakische Flüchtlingselend: eine Reihe Zelte nach der anderen, soweit das Auge reicht. Dazwischen spielen ein paar Kinder auf den staubigen Wegen. Die meisten haben sich bei 44 Grad in den Schatten ihrer Zelte geflüchtet.

Aber manche Einwohner des Lagers haben einen ganz speziellen Hintergrund. Man nennt sie die irakischen Daesch-Familien – die Familien des IS, des „Islamischen Staates“. Sie bestehen fast nur aus Frauen und Kindern. Ihre Väter, Männer oder Söhne haben beim IS gearbeitet und sind entweder umgekommen oder wurden gefangengenommen.

Iman Darwish bittet in ihr Zelt, in dem ihre sieben Kinder auf Matten sitzen. Das wenige Hab und Gut der Familie steckt in zwei Taschen in der Ecke des Zeltes. Daneben gibt es nur noch einen Spirituskocher, einen Topf, einen Teekessel, einen Wasserkanister und eine zerschlissene Schultasche mit einem Mickymaus-Aufdruck.

Die Familie kommt aus einem Dorf in der Nähe von Mossul. Iman, mit braun-beigem Kopftuch, ihr Gesicht mit einem rosa Tuch bedeckt, erzählt ihre Geschichte. Adel, ihr Mann, habe ursprünglich bei der Elektrizitätsgesellschaft gearbeitet. Nachdem der IS in ihr Dorf kam, habe er vom irakischen Staat keinen Lohn mehr bekommen. Um nicht zu verhungern, habe er beim IS als Koch angeheuert und dort gearbeitet, bis er bei einem Bombardement ums Leben kam.

„Was sollten wir machen, hätten wir verhungern sollen?“

„Er war nie ein IS-Kämpfer“, insistiert Iman. „Er konnte gar nicht kämpfen, er konnte sich nur mit Mühe bewegen und nichts Schweres schleppen. Er hat einfach nur für den IS gekocht“, erklärt sie.

Ein paar Zelte weiter lebt eine andere IS-Familie, Fawziya Farah mit ihren Kindern. Auch sie stammt aus einem Dorf in der Nähe von Mossul. Ihr Mann arbeitete beim Erziehungsministerium und bekam ebenfalls keinen Lohn mehr, nachdem sein Dorf unter IS-Kontrolle fiel.

„Was sollten wir machen, hätten wir verhungern sollen?“, antwortet Fawziya auf die Frage, warum ihr Mann beim IS war. „Er hat das gemacht, damit wir überleben. Er war kein Kämpfer, er hatte keine Uniform und keine Waffe. Er hat nie an irgendeiner Schacht teilgenommen. Er war nur Wächter“, fügt sie hinzu. „Mein Mann hat niemandem etwas zuleide getan, das kann das Dorf bezeugen.“

IS-Familien dürfen nicht in ihre Dörfer zurück

Überprüfen lässt sich das nicht. Aber wenn man durch die Reihen der Zelte der IS-Familien geht, findet sich keine Frau, die sagt, ihr Mann habe im Namen des IS gemordet. Fawziya möchte mit ihren acht Kindern wieder in ihr Dorf zurück, raus aus dem Zeltlager und zurück in ihr Haus. Was mit dem geschehen ist, ob jemand anderes dort wohnt, weiß sie nicht.

Keiner der IS-Familien ist es erlaubt, in ihre Dörfer zurückzukehren. Die Behörden befürchten, dass sie Opfer von Racheaktionen werden können, durch jene, die Angehörige durch die Taten des IS verloren haben. „Wir wissen nicht, was wir mit ihnen machen sollen“, sagt einer der Mitarbeiter der Lagerverwaltung, der anonym bleiben möchte. „Zurück in ihre Dörfer können wir sie nicht schicken. Und eigene Dörfer für die IS-Angehörigen zu bauen, wäre irgendwie merkwürdig und würde neue Problem schaffen.“ Er zuckt mit den Achseln.

Zumindest hier im Lager leben beide Seiten eine prekäre Koexistenz. IS-Familien und IS-Opfer leben Zelt an Zelt. Am Ende der Zeltgasse von Fawziya lebt Aisha Salem mit den Angehörigen, die von ihrer Familie übrig ist. „Ich habe meinen Mann verloren, gleich am Anfang, als der IS kam. Er war Dorfvorsteher. Der IS hat ihn mitgenommen und umgebracht“, erzählt sie und zeigt auf ihrem Handy das Fotos ihres Mannes. Und das seiner Leiche.

Aischa hofft auf Gerechtigkeit

„Und dann, zehn Tage, ehe uns die irakische Armee befreit hat, haben sie auch noch meinen Sohn mitgenommen“. Er habe versucht, das IS-Gebiet zu verlassen und sich der irakischen Armee anzuschließen, um bei der Befreiung seines Dorfes mitzuhelfen. Und dann kam die Nachricht, dass er ermordet wurde.

Mitten im Gespräch bricht Aisha weinend ab. Es sei ihr einfach alles zu viel. In ihr altes Haus könnten sie nicht zurück, das habe der IS konfisziert und sich dort eingerichtet. Deswegen sei es von der Luftwaffe der Anti-IS-Koalition bombardiert worden. „Wir werden wohl auf absehbarer Zeit im Lager bleiben müssen“, sagt sie, zumal sie ohne Mann und Sohn nicht weiß, wie sie ihre Familie durchbringen soll.

Jeden Tag sehe sie die IS-Lagerbewohner „Ich bete jeden Tag zu Gott, dass er sie zur Rechenschaft zieht. Wir wollen keine Blutrache. Aber wir hoffen natürlich, dass die Regierung für Gerechtigkeit sorgt“, betont sie.

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7 Kommentare

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  • Asyl in Deutschland für ehemalige IS-Kämpfer und deren Angehörigen wäre doch die logische Konsequenz der sonst üblichen Diskussionen hier, schliesslich sind diese Menschen nun Verfolgte im eigenen Land.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Diese moralische Korrumpiertheit, wie im Titel erwähnt, gibt es hier auch. Das Zitat erinnert mich an eines, dass ein ehemaliger Bürgermeister von Erfurt einst gab.

     

    Ich verweise auf das Gelände der J. A. Topf & Söhne in Erfurt, eine Firma, die die Verbrennungsöfen für die Vernichtungslager hergestellt hat und die Gaskammern mit entwickelte. https://de.wikipedia.org/wiki/J._A._Topf_%26_S%C3%B6hne#Entwicklung_zum_Erinnerungsort

     

    Das Gelände hatten linke Aktivisten besetzt und in einem Haus wurde ein Kultur- und Wohnprojekt eingerichtet, ich habe da selbst auch mit Band gespielt. In den ehemaligen Fabrikgebäuden wurde ein Informationsrundgang eingerichtet.

     

    In der Diskussion um die Räumung des Areals und den Abriss der Fabrikhallen, sagte der damalige Bürgermeister der SPD (!) sinngemäß:

     

    "Dann müßte man ja auch an den Bäcker erinnern, der die Brötchen nach Buchenwald gebracht hat."

    • @85198 (Profil gelöscht):

      „Sinngemäß“ ist oftmals einfach nur hineingedacht. Insbesondere wenn zusammenhangslos Zitate nicht im Original und ohne Quellenangabe gemacht werden.

  • Das gesellschaftliche Sein bestimmt das gesellschaftliche Bewusstsein

     

    Natürlich suchen Kämpfer des IS und zeitweilig mitwirkende Opportunisten, nach der sich abzeichnenden Niederlage, ihre Zuflucht, zusammen auch mit Familienangehörigen, in Flüchtlingslagern. Auch setzen sie sich nach Westeuropa ab, um später ihre Familienangehörigen, im Zusammenhang mit der gesetzlich geregelten „Familienzusammenführung“, nachzuholen. Die eigentliche moralische Verpflichtung zur Aufnahme vormaliger IS-Kämpfer und deren Familien, würde eigentlich beim Islamischen Staat Saudi-Arabien, AKP-Türkei, VAE, Katar und Kuwait, liegen. Doch deren geo- und militärpolitischen Strategen konnten (ihre) zeitweiligen IS-Kämpfer nur für ihre ideologische und politische Offensive in der Region gebrauchen. Nach deren militärischen Niederlage werden sie auch nicht bei ihren Finanziers benötigt. Gegebenenfalls bietet sich deren neuer Einsatz in anderen Weltregionen an, einschließlich in Westeuropa. Auch hierfür werden sich in dumpfer Unwissenheit schon genügend bürgerliche Menschenfreunde, Freizeit- und Gutmenschen finden, so auch in Deutschland. Auch damit bleibt uns die irrationale und zugleich gezielte Konstruktion vom „Islamischen Staat“ zur weiteren Destabilisierung -auch in Nahost, Nordafrika und Westeuropa- noch lange Zeit in neuer pseudodemokratischer Verpackung erhalten.

     

    Gewiss werden nicht wenige User behaupten wollen, hier schreibt ein Rechtspopulist. Diese Gutmenschen sollten sich mit der weltlichen Wirklichkeit intensiv beschäftigen und nicht mit ihren fehlgeleiteten und unbedarften ideologisch-harmonischen Luftschlössern.

     

    Info.-Empfehlung:

     

    ● Syrien verstehen. Geschichte, Gesellschaft und Religion.

    Von Gerhard Schweizer / Klett Cotta

     

    ● Kampf dem Terror – Kampf dem Islam?

    Chronik eines unbegrenzten Krieges.

    Peter Scholl-Latour / Propyläen

     

    ● Scharia-Kapitalismus

    Von Sascha Adamek / Econ

     

    ● Über Religion

    Marx u. Engels / Dietz Verlag Berlin

    • @Reinhold Schramm:

      Bitte nicht so viele bittere Wahrheiten, think positiv, schon in der Bibel stand was vom gefallenen Sohn.....

      Und was man gar nicht schreiben darf, wie derartiger IS Terror entstehen konnte. Da gab es mal eine Theorie in D, als die RAF noch aktiv war. Es gibt die Täter, die geistigen Brandstifter und die große Masse der der Menschen mit der klammheimlichen Freude. Täter hier: IS, Massenmörder und deren direkte Helfer. Geistige Brandstifter: Die religiöse Ideologie von Mohammed und deren Verkünder und Interpreten. Klammheimliche Freude: Anhänger mit intensiven Aktivität für diese Ideologie, Relativierer und Wegseher.

      Bei den Nazis gab es auch diese Dreiteilung, Täter - die mit dem Gas und MP; dann Hitler, mein Kampf, die Nazihäuptlinge; dann alle die die NSDAP wählten oder zu Hitlers Geburtstag heirateten oder plärrten, wir wollen den totalen Krieg usw.

       

      Diese Dreiereinteilung lässt sich überall bei jeglicher Art von Massenmord anwenden, immer im leicht anderen Rollenspiel.

       

      Hofschranzen (die Leute aus Wissenschaft und Medien, die zur Politik katzbuckeln) konzentrieren sich auf die Täter und einzelne geistige Brandstifter.

      • @Thomas Sauer:

        "Hofschranzen (die Leute aus Wissenschaft und Medien, die zur Politik katzbuckeln) konzentrieren sich auf die Täter und einzelne geistige Brandstifter."

         

        *** -): So ist es!

         

        An der Schöpfungsgeschichte des "Islamischen Staates" ist auch die Deutsche Wirtschaft und Politik (aktiv) beteiligt! Bei den meisten öffentlich-rechtlichen Medien und Debatten wird diese Wahrheit ausgeklammert. Auch bei den meisten Parteien findet hierzu keine ernsthafte Diskussion statt.