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Von Platzhirschen und Luftnummern

BUNDESTAGSWAHL Am Ende schaffen es nur zwölf Kandidaten direkt in den Bundestag. Manche können sich jetzt schon entspannt zurücklehnen, andere kämpfen bis zuletzt um Prozentpunkte. Die Berliner Wahlkreise im taz-Check
VONStefan Alberti

Mag es im Westen noch gelegentliche Einbrüche gegeben haben, im Osten stehen die Bundestagshochburgen felsenfest: In den Wahlkreisen Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg gewannen seit 1990 ausschließlich PDS- und Linkspartei-Kandidaten. Daran wird sich auch dieses Mal nichts ändern, Petra Pau und Gesine Lötzsch werden wieder vorn liegen.

Außer den beiden gab es in diesen beiden Wahlkreisen in all den 27 Nachwendejahren überhaupt nur noch zwei andere direkt gewählte Abgeordnete, nämlich Christa Luft und ­Gregor Gysi.

Treptow-Köpenick wiederum ist erst in Linkspartei-Hand, seit hier 2005 erstmals Gysi antrat – gegen ihn hatte selbst der vormalige mehrfache Wahlkreissieger von der SPD keine Chance. Alle Prognosen sehen Gysi auch diesmal vorn – was die romantische These stützt, dass manchmal eben nicht allein das Parteibuch entscheidet. Denn bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 lag die Linkspartei hinter der SPD und gewann nur zwei von sechs Mandaten im Bezirk.

In sechs Wahlkreisen ist die Spannung raus, drei davon im Westen der Stadt: in Steglitz-Zehlendorf, in Reinickendorf und in Tempelhof-Schöneberg, die allesamt in CDU-Hand sind. Sie scheinen so sicher, dass oft vom tiefschwarzen Süd- und Nordwesten die Rede ist.

Dabei gibt es aber mehrere Beispiele, dass charismatische SPD-Kandidaten durchaus eine Chance haben: In Reinickendorf etwa gewann der vormalige Bürgermeister Detlef Dzembritzki gleich dreimal und düpierte mit seinem letzten Sieg 2005 auch den CDU-Mann Frank Steffel. Ohne Dzembritzki aber ist Steffel seit 2009 ohne ernst zu nehmende Konkurrenz, 2013 holte er mit 45 Prozent sogar das landesweit beste Ergebnis.

In Steglitz-Zehlendorf konnte die SPD mit einem bekannten Kandidaten 2002 gegen einen in der eigenen Partei wenig beliebten CDUler gewinnen, ist aber seither chancenlos, auch dieses Mal gegen Exjustizsenator Thomas Heilmann.

In Tempelhof-Schöneberg wiederum hat sich nach früheren SPD-Erfolgen seit 2009 Jan-Marco Luczak ein sicheres Polster erarbeitet.

„Landesliste“ ist einer der häufigsten Politbegriffe auf dieser Doppelseite, darum hier noch mal die Definition: In jedem Bundesland, in dem eine Partei antritt, muss sie eine solche Kandidatenliste bei der Wahlleitung einreichen.

Nachdem über die ausgezählten Zweitstimmen auf dem Wahlzettel klar ist, wie viele Bundestagssitze der Partei in welchem Bundesland zustehen, kommt die jeweilige Liste zum Zug – aber nur, wenn die Partei nicht schon genauso viele Wahlkreise über die Erststimme gewonnen hat. „Direkt gewinnen“ nennt man das auch.

Ein Beispiel: Nach jetzigem Stand haben die Berliner Grünen Anspruch auf drei Mandate. Platz drei mit Exministerin Renate Künast aber „zieht“, so der Politsprech, nur dann, wenn die Grünen nicht wieder den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg gewinnen. Passiert das, so kommen zum Direktmandat nur zwei Listenmandate.

Friedrichshain-Kreuzberg

Wenn sie verliert, ist sie die Lachnummer der Nation. 22 Prozentpunkte oder 36.000 Stimmen Vorsprung hatte Christian Ströbele, als er 2013 ein viertes und letztes Mal den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg gewann, das bundesweit einzige grüne Direktmandat. Selbst zusammengerechnet hatten die Kandidaten von SPD und Linkspartei weniger Stimmen als er. Auch wenn Ströbele manches Mal erzählt, viele hätten ausdrücklich für ihn und nicht für die Grünen stimmen wollen. Canan Bayram ist die Frau, auf der als Ströbele-Nachfolgerin die Erwartungen der Partei lasten. Genauer gesagt: der Parteilinken. Denn bei den Realos gibt es durchaus Leute, die lieber auf das schmückende Direktmandat verzichten würden, wenn stattdessen in Berlin als dritte Grüne hinter Spitzenkandidatin Lisa Paus und Stefan Gelbhaar Exministerin Renate Künast wieder in den Bundestag einzöge.

Den Umfragen und Prognosen zufolge ist ein Sieg Canan Bayrams zwar offenbar der wahrscheinlichste ­Wahlausgang, aber er ist nicht sicher. Die GegenkandidatInnen sind die SPD-­Bundestagsabgeordnete Cansel ­Kiziltepe und ­Pascal ­Meiser von der Linkspartei. Sie würden nach ­jetzigem Umfragestand über die Landesliste auch bei ­einer Niederlage ins Parlament kommen, anders als ­Bayram.

Inhaltlich unterscheiden sich die drei nicht wesentlich. Linke Politik wollen alle drei machen, Mieter schützen, Verdrängung bekämpfen, für bezahlbaren Wohnraum sorgen.

Reportage

Prognose: Bayram schafft ’s – die 36.000 Stimmen Vorsprung können nicht nur Ströbele-Fans ohne sonstige Grünen-Nähe gewesen sein.

Mitte

Auf dem Papier ist die Lage klar. Da kandidiert Eva Högl, die stellvertretende SPD-Fraktionschefin im Bundestag, die Berliner Spitzenkandidatin, die zweifache Wahlkreissiegerin, eine umtriebige Frau mit positivem Image. Und gegen sie tritt auf CDU-Seite Frank Henkel an, einer, der als Senator gescheitert, als Parteichef zurückgetreten und durchgefallen ist bei dem Versuch, über die Landesliste seiner Partei sicher in den Bundestag zu kommen. Eine sichere Sache also für Högl und ein sicheres Scheitern für Henkel? Eben nicht. Die Besonderheiten des Wahlkreises Mitte, die Schwäche der SPD auf Bundesebene – all das sorgt dafür, dass man auch im Högl-Lager nicht gänzlich ausschließt, dass Henkel gewinnen könnte.

Mitte, das ist der Wahlkreis, in dem sich die Stimmen bei der Wahl 2013 so breit auf die vier größten Parteien aufteilten wie in keinem anderen Wahlkreis der Republik. Die rund 28 Prozent, mit denen Högl gewann, waren der geringste Siegerwert der SPD bundesweit. Linkspartei und Grüne haben große Anteile im Bezirk – der Grüne ­Özcan Mutlu hoffte mit Blick auf die große Gruppe mit Migrationshintergrund sogar auf einen Wahlkreissieg. Er blieb am Ende aber bei 18 Prozent hängen, deutlich hinter Högl.

Was die Sozialdemokraten leicht zittern lässt, ist die Tatsache, dass es 2013 ein weithin unbekannter CDU-Mann auf Platz 2 schaffte, nur rund vier Prozentpunkte hinter Högl. Philipp Lengsfeld kam noch nicht mal als völlig neuer CDU-Typ daher, der neue Wähler mobilisieren konnte. Die meisten kannten ihn nur über seine Mutter Vera, DDR-Bürgerrechtlerin und vormals selbst Bundestagsabgeordnete, erst für die Bündnisgrünen, dann für die CDU.

Henkel hingegen ist ein bekannter Name, in positiver wie negativer Hinsicht. Allein das könnte reichen, um das von Lengsfeld 2013 erreichte Ergebnis zu steigern. Außerdem steht die SPD in Berlin in Umfragen derzeit schlechter denn je da – und das beeinflusst erfahrungsgemäß auch das Ergebnis des Wahlkreiskandidaten.

Högl als Spitzenkandidatin der Berliner SPD wäre auch bei einer Niederlage in jedem Fall erneut im Bundestag, in den sie 2009 erstmals kam. Für Henkel hingegen ist ein Sieg Voraussetzung, weiter vorne in der Politik mitmischen zu können. Wie jetzt einer von 31 in der Abgeordnetenhausfraktion zu sein, die er lange Jahre geführt hat, ein Hinterbänkler nach Jahren als Vizeregierungschef – das passt nicht richtig zusammen.

Setzte sich Henkel tatsächlich durch, wäre das für ihn zugleich eine große Genugtuung gegenüber seinem Landesverband, der ihn auf der Landesliste nicht so platzieren mochte, dass ein Bundestagssitz zumindest in Aussicht gewesen wäre. Belächelt wurde Henkel im März, als die SPD dank Martin Schulz kurzzeitig boomte und ein Sieg jenseits jeglicher Vorstellungskraft war. Mancher legte ihm nahe, die Kandidatur doch aufzugeben, weil er sich doch nur selbst beschädige. Das wurde anders, je mehr die SPD schwächelte, die CDU mehr und mehr zulegte und auf dieser Welle auch Henkels Chancen stiegen.

Was es für Henkel schwieriger macht als für Lengsfeld vor vier Jahren, ist die wieder aufgetauchte FDP, die auch bei der Wahlkreisstimme ein paar bürgerliche Prozent rechts der SPD auf sich ziehen wird – und Beatrix von Storch, eines der bundesweit bekanntesten AfD-Gesichter, die ebenfalls in Mitte antritt.

Prognose: Högl macht’s erneut, weil Henkel vorwiegend von der zuletzt abgeflachten Merkel-Welle lebt.

Spandau

Die beiden müssten sich inzwischen besser kennen als manche Verwandte. Zum fünften Mal treten Kai Wegner (CDU) und Swen Schulz (SPD) am 24. September bei Bundestagswahlen gegeneinander an. Seit 2002 ist das so, und weil die beiden erst 45 beziehungsweise 49 sind, könnte das theoretisch mindestens genauso lang weitergehen. In keinem der zwölf Berliner Wahlkreise ist die Kandidatenlage so konstant wie in Spandau. Sechs CDU-Landesvorsitzende hat Wegner in dieser Zeit erlebt, Partnerschaften haben sich verändert, aber das Duell ist geblieben.

Bislang steht es unentschieden 2:2 – Schulz gewann zu SPD-Hochzeiten 2002 und 2005, Wegner konnte sich unter Merkels Kanzlerschaft durchsetzen. Zuletzt aber nur knapp mit 1,8 Prozentpunkten Vorsprung in einem Wahlkreis, der alles andere als gleichförmig ist: Industriegebiete, ländliche Siedlungen, Kladower Idylle am Wannsee. Zudem die Besonderheit, dass der Wahlkreis auch Charlottenburg-Nord umfasst. Entsprechend unterschiedlich sind die Hochburgen.

Pragmatische Spandauer könnten sich zwar sagen: Ist doch egal, wen von beiden ich wähle, es kommen ja eh beide in den Bundestag. Das ist zwar tatsächlich seit 2005 so, weil der Unterlegene stets über die Landesliste einen Parlamentssitz bekam. Das ignoriert aber, dass Wahlkreissieger in ihren Frak­tio­nen ein größeres Gewicht haben und folglich mehr durchsetzen können – was dieses Mal mehr denn je für Schulz gilt, weil die SPD bundesweit absehbar nur ein paar Dutzend Wahlkreise gewinnen wird. Verliert Wegner, wäre er zwar weiter im Bundestag, aber unter den fast ausnahmslos direkt gewählten Frak­tions­kol­le­gen eher Abgeordneter zweiter Klasse.

Prognose: Wegner wird siegen – der Name Schulz ist in diesem Wahlkampf nicht sonderlich hilfreich.

Charlottenburg-Wilmersdorf

Das war schon ein merkwürdiges Lob für einen Parteifreund: „Brillante Rede, wusste gar nicht, dass der das kann“, ließ sich eine CDU-Größe zitieren, nachdem Klaus-Dieter Gröhler im März beim Landesparteitag unter viel Beifall gesprochen hatte. Wusste gar nicht, dass der das kann? Nach vielen Jahren zusammen in der Partei? Das lag und liegt vielleicht daran, dass Gröhler nicht die vermeintlich großen Themen suchte, sondern sich vorwiegend mit dem beschäftigte, was um ihn herum Alltag ist. Das ließ dann manche in der CDU denken, Gröhler sei ein reiner Kiezpolitiker, Typ Dorfschulze, der mal lieber auf seinem Posten als Stadtrat im Bezirksamt in Charlottenburg-Wilmersdorf geblieben wäre, statt 2013 in den Bundestag zu gehen.

Gut möglich, dass auch Tim Renner dieses Bild vor Augen hatte und dachte, als eloquenter Kulturmacher leichtes Spiel zu haben. Der frühere Musikmanager, bis Ende 2016 noch Kultur­staatssekretär, war bundesweit dadurch bekannt geworden, dass er Chris Dercon zum neuen Chef der Volksbühne machte, womit er einen großen Streit auslöste. Nun will er seine Kar­riere als SPD-Bundestagsabgeordneter fortsetzen. Parteiintern klappte das Vorhaben gut, Renner setzte sich in einer Urwahl unter anderem gegen die etablierte Landespolitikerin Ülker Radziwill durch, die 2013 gegen Gröhler unterlag. Der trat damals wie jetzt ohne sicheren Platz auf der Landesliste seiner Partei an und musste den Wahlkreis in jedem Fall gewinnen. Renner hingegen kann darauf hoffen, über die SPD-Liste auch bei einer Niederlage in den Bundestag zu kommen.

Medienfuzzi versus bodenständiger Kommunalpolitiker war also die Erwartungshaltung für den Wahlkampf. Da war es schon etwas ernüchternd, als einen dann Anfang August von den Renner-Wahlplakaten wie von anderen SPD-Plakaten bloß das übliche Politikergesicht anschaute, blass zudem. Gröhler hingegen baute das aus, womit er sowieso verbunden wird, seine Bodenständigkeit: Seine Wahlplakate zeigen in jedem Stadtteil einen anderen Hintergrund und den Stadtteilnamen statt den des gesamten großen Bezirks. Das zieht offenbar, diverse Wahlkreisumfragen sehen ihn vorn.

Zwei Dinge können den Zweikampf allerdings durchaus beeinflussen: Zum Bezirk gehört auch Grunewald, eine Hochburg der wieder erstarkten FDP. Die könnte der CDU im bürgerlichen Lager durchaus Stimmen abnehmen. Was für Gröhler persönlich allerdings nur dann zum Problem würde, wenn diese Gruppe ihre Stimmen nicht splittet, also in klassischer Weise mit der Zweitstimme FDP, mit der Erststimme aber den CDU-Kandidaten wählt. Ähnlich könnte sich für Renner auswirken, dass für die Grünen im Wahlkreis nicht irgendwer, sondern Lisa Paus kandidiert. Das hat sie zwar auch 2013 gemacht, aber dieses Mal ist sie Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, dürfte also größere Bekanntheit haben. Außerdem war Paus zu­nehmend mit ihrer Arbeit im Haushaltsausschuss des Bundestags in den Medien. Von Vorteil ist für Gröhler, dass das eher SPD-nahe Charlottenburg-Nord zum Wahlkreis Spandau gehört.

Prognose: Gröhler wird das Rennen machen – im Zweifelsfall siegen Erfahrung und Bodenständigkeit.

Neukölln

Neukölln hat einen weiteren Superlativ zu bieten: Nach einer jüngeren Umfrage, wie verlässlich die auch immer sein mag, geht es in keinem anderen der 299 deutschen Wahlkreise bei der Bundestagswahl knapper zu. Nicht dass die Sache 2013 übermäßig klar war – da lagen auch nur weniger als zwei Prozentpunkte oder knapp zweieinhalbtausend Stimmen zwischen dem Sieger Fritz Felgentreu von der SPD und Christina Schwarzer von der CDU. Aber jetzt soll es halt noch knapper sein. Das lässt beide bis zum Schluss rotieren und so viele Wahlkampftermine wie möglich wahrnehmen. Für beide ist es eine Alles-oder-nichts-Situation: Keiner der zwei kann darauf hoffen, über die Landesliste von SPD oder CDU sicher ins Parlament zu kommen. Schwarzer, die 2013 auf diesem Weg trotz Wahlkreisniederlage ins Parlament kam, ist dieses Mal ungünstiger platziert, Felgentreu auf der SPD-Liste gar nicht drauf.

Schwarzer illustriert ein Kernproblem der Berliner CDU: zu wenig Frauen auf aussichtsreichen Listenplätzen. Nummer 1 ist seit mehreren Wahlen Monika Grütters, die inzwischen auch Landesvorsitzende ist. Dann aber ist Pause bis Platz 6, auf dem Schwarzer folgt, die nächste Frau steht sogar erst auf Platz 10. Das ist eine sehr eigenwillige Interpretation des Parteibeschlusses, wonach ein Drittel der Kandidierenden weiblich sein soll. Grütters hatte im Dezember auf einem kleinen Parteitag unmittelbar vor ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden mehr Frauen auf vorderen Plätzen gefordert – der Beifall der Delegierten hielt sich in Grenzen.

Prognose: too close to call.

Pankow

Ich bin wieder hier, in meinem Revier, war nie richtig weg, hab mich nur versteckt.“ Eigentlich könnte der CDUler Gottfried Ludewig den Song von Marius Müller-Westernhagen für seinen Wahlkampf in Pankow verwenden. Er war ja schon 2009 hier Bundestagskandidat, pausierte 2013 und ist es jetzt wieder. Das Revier ist allerdings längst nicht mehr dasselbe, er selbst nicht mehr derselbe. Als Ludewig vor acht Jahren antrat, war seine Partei in Pankow vierte Kraft, hatte eine ähnliche Rolle wie in Friedrichshain-Kreuzberg: keine Chance auf Mandate und weit hinter Linkspartei, SPD und Grünen. Diesmal hingegen schien Ludewig zwischenzeitlich sogar Chancen auf den Sieg im Wahlkreis zu haben. Dass so etwas überhaupt in Reichweite ist, hatte vor vier Jahren Lars Zimmermann gezeigt, ein vorher weitgehend unbekannter unkonventioneller CDU-Mann. Der ließ Sozis und Grüne – die sich vorher in einem Linke-Parteien-Dreikampf um den Wahlkreissieg wähnten – hinter sich und blieb nur ein paar Prozentpunkte hinter Stefan Liebich von der Linkspartei.

Versteckt, wie Müller-Westernhagen singt, hatte sich Ludewig damals allerdings nicht, bloß andere Schwerpunkte gesetzt. Er, 2009 noch Chef der CDU-nahen Studentenvereinigung RCDS und so eine Art jugendlicher Parteirevoluzzer, der bundesweit mit der Forderung Schlagzeilen machte, dass Berufstätige bei Wahlen doppelt so viel Stimmrecht wie Rentner und Hartz-IV-Bezieher haben sollten, ging 2011 in die Landespolitik und wurde ins Abgeordnetenhaus gewählt. Dort ist er inzwischen Vizefraktionschef.

Dass die CDU im Bezirk vorne mit dabei ist, hat für Ludewig einen klaren Grund. „Pankow ist ein zutiefst bürgerlicher Bezirk“, hat er jüngst gesagt. Da mag er recht haben, zumindest wenn man samstagmorgens auf dem Kollwitzplatz einkaufen geht, den Blick auf Prenzlauer Berg verengt und außer Acht lässt, dass der Bezirk noch ganz andere Gesichter hat. Profitieren konnte die CDU allerdings bislang nicht von dieser echten oder vermeintlichen Bürgerlichkeit. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 gingen fünf der neun Pankower Direktmandate an die SPD, zwei an die Grünen, je eins an die Linke und die AfD – und keins an die CDU.

Die These vom bürgerlichen Bezirk passt aber durchaus zum Wahlsieger: Dass Stefan Liebich den Wahlkreis schon zweimal für die Linkspartei gewonnen hat, hat viel damit zu tun, dass Liebich neben Gregor Gysi so in etwa das Bürgerlichste ist, was seine Partei in Berlin zu bieten hat. Gemäßigt, eloquent, belesen, angenehm im Umgang, anerkannt über Parteigrenzen hinweg. Als Außenpolitiker gehört er ohnehin zur qua Jobbeschreibung gemäßigten Diplomatenriege unter den Bundestagsabgeordneten.

Quasi übernommen hat er den Wahlkreis von SPD-Urgestein Wolfgang Thierse, gegen den er zweimal vergeblich antrat, bis er 2009 erstmals gewann. Liebich kämpft für seine Interessen und die seiner Partei – aber seine Art zu kämpfen ist wohl weniger verletzend als die mancher Parteikollegen. Das macht ihn offenbar für Menschen wählbar, die nicht automatisch auf jedem Wahlzettel Die Linke ankreuzen – zumindest schneidet er sehr viel besser ab als seine Parteifreunde bei der Abgeordnetenhauswahl.

Die Kandidaten von SPD und Grünen werden dabei schier zu Adabeis, wie es in München heißen würde, bloß weiteren Namen auf dem Wahlzettel: Sozialdemokrat Klaus Mindrup, der 2013 auch ohne Wahlkreissieg über die Landesliste seiner Partei in den Bundestag kam, und Stefan Gelbhaar, bisher für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Kurioserweise kann es dazu kommen, dass alle vier nach dem 24. September gemeinsam im Bundestag sitzen, obwohl nur einer den Wahlkreis gewinnen kann. Alle vier haben sichere bis aussichtsreiche Plätze auf den Landeslisten ihrer Parteien.

Prognose: Liebich wird gewinnen dank guter Performance, deutlich steigenden Linkspartei-Werten in Berlin und bröckelnden Merkel-Rückhalts.