piwik no script img

Eine Hütte auf dem Friedhof

ILB 2Starautorin Arundhati Roy liest beim Literaturfestival aus „Das Ministerium des äußersten Glücks“. Es geht um eine intersexuelle Frau, die zwischen Gräbern haust – und um Regen im Kopf

Mit ihrem 1997 erschienenen Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ ist Arundhati Roy berühmt geworden. Danach trat sie vor allem als politische Aktivistin und Globalisierungskritikerin in Erscheinung. Nun gibt’s einen neuen Roman: „Das Ministerium des äußersten Glücks“ – ein Werk mit einer interessanten Figurenkonstellation. Da ist Arjum, eine intersexuelle Frau, die auf einem Friedhof wohnt, ein Unabhängigkeitskämpfer in Kaschmir, eine maoistische Gue­rillera, eine Architektin, ein Agent und viele andere.

Der große Saal im Haus der Berliner Festspiele ist fast ausverkauft zur Lesung von Arundhati Roy am Donnerstagabend. Auf jedem Platz liegen: die Erklärung der Menschenrechte im Kleinformat sowie die Zeitung des Internationalen Kongresses für Demokratie und Freiheit, der an diesem Wochenende stattfindet. Beim Warten rechnet man aus, dass fast tausend Leute da sein müssten.

Dann beginnt verhalten rhythmisches Klatschen, das wieder abklingt, weil zu wenige mitmachen. Beim zweiten Versuch betreten Gabriele von Arnim, die für die Diskussion zuständig ist, Roy und Eva Mattes als Vorleserin die Bühne. Der Beifall schwillt an. „Klatschen Sie ruhig weiter. Ich habe meine Tasche noch nicht ausgepackt“, sagt Frau von Arnim.

Arundathi Roy liest den Prolog des Buchs. Es folgt ein Sechsminutenfilm über die „Landschaft“ des Romans, den Freunde der Autorin gemacht haben. Man sieht also einen Friedhof, Baustellen, Hindunationalisten mit safrangelben Tüchern, eine Frau in einem Boot und am Ende den Buchtitel.

Nun spricht man ein wenig über das Verhältnis von Literatur und Politik und darüber, dass Roy der Ausdruck „Aktivistin“ nicht so gut gefällt. Roy erzählt von einem Brief, den sie bekommen hatte und der an eine ihrer Romanheldinnen gerichtet war. Von Arnim berichtet von den vielen Gewaltszenen in dem Buch.

Nun liest Eva Mattes eine längere Eingangspassage aus Roys neuem Buch. Von Arjum, der Intersexuellen und wie sie sich auf dem Friedhof langsam einrichtet. Zunächst hat sie nur eine Matte, später baut ihr ein befreundeter Bauunternehmer eine Hütte und langsam tauchen immer mehr Leute auf, die zu ihr in Beziehung treten. Friedhofsangestellte sagen, Arjum müsse fort, der Friedhof sei ein Ort der Toten. Als sie antwortet „dass sie nicht auf dem Friedhof lebe, sondern sterbe“, lachen einige im Publikum. Vielleicht sollte man mal eine Untersuchung darüber machen, an welchen Stellen das Publikum bei Lesungen lacht.

Frau von Arnim möchte über die exzessive Gewalt in dem Buch sprechen und wie sich die Autorin beim Schreiben gefühlt hat. Arundhati Roy erzählt von auf YouTube geposteten Massakern und dass es ein Akt des Schamanismus sei, sich das alles vorzustellen und sich in diese Situation zu begeben.

Die nächste Szene, die Eva Mattes vorliest, spielt in Kaschmir und ist wie die anderen präsentierten Passagen gewaltfrei. Der Satz „Vielleicht regnete es in ihrem Kopf“ bleibt in meinem Kopf hängen, vermutlich, weil ich tags zuvor in den Regen geriet. Ich hatte mir dann für 2,95 Euro einen Regenschirm gekauft und an Jacques Derridas Aufsatz „Sporen“ gedacht, der von dem Nietzsche-Zitat „Ich habe meinen Regenschirm vergessen“ handelt.

Komisch, sich zu Hause dann Roys Auftritt in „ttt“ noch einmal anzuschauen. Im TV kommt ihr Charisma besser zur Geltung. Dass sie live und von Weitem ganz normal aussah, gefällt mir aber sehr gut und dass sie im gleichen Jahr geboren wurde wie ich. Detlef Kuhlbrodt

Das Internationale Literaturfestival Berlin (ilb)läuft vom 6. bis 16. September. In unserer ilb-Kolumne berichten unsere Autorinnen und Autoren von den Lesungen und Diskussionen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen