Berliner Szenen: Die SPD, immer für Sie da
Der Unfall
Mein erster richtiger Fahrradunfall ereignet sich an der Ecke Yorck- und Großbeerenstraße. Passanten spazieren plötzlich in aller Ruhe über den Fahrradweg. Ich versuche, ihnen auszuweichen, und schimpfe dabei. In dem Moment springt meine Fahrradkette raus, ich verliere die Kontrolle, kann nicht mehr bremsen und fliege über das Rad Richtung Ampel. Mein rechtes Knie knallt auf den Boden, das Lenkrad klemmt hinter meinem rechten Ohr.
„Ich lebe noch“, ist mein erster Gedanke. Gleich kommt der Schmerz und ein leises Schamgefühl wegen meiner Schimpferei. Eine Frau und zwei Männer stehen schon hilfsbereit bei mir und fragen, ob alles okay sei. Das weiß ich noch nicht, ich brauche Zeit. Sie begleiten mich bis zur Bäckerei nebenan, setzen mich hin und drücken mir eine geöffnete Flasche Mineralwasser in die Hand.
Sie stellen viele Fragen, aber ich bin durcheinander und nicht mehr sicher, ob ich mir den Kopf gestoßen habe. Dann ruft einer von ihnen den Notarzt.
Während wir warten, merke ich, dass beide Männer rote T-Shirts tragen. Die Frau streichelt mir über die Schulter. Ich sage, sie müssen nicht bei mir bleiben, ich schaffe es alleine. „Nein! Die SPD ist immer für Sie da“, sagt der jüngste der Männer. Dann erst sehe ich, dass ein paar Meter weiter ein Stand der SPD ist und realisiere, dass die drei HelferInnen Flyer verteilt haben.
„Ach so! Jetzt verstehe ich. Alles nur Wahlkampf!“, sage ich. Erleichtert, dass ich noch zu Scherzen aufgelegt bin: Vielleicht war es nicht so schlimm, nur ein Schock. „Ich bin Ausländerin. Ich darf sowieso nicht wählen“, fahre ich fort und frage mich, warum sie nicht lachen: Es ist doch komisch, tragikomisch. Da höre ich schon das Martinshorn vom Krankenwagen und sehe, wie die SPD-Frau zum Bordstein geht und mit Flyern winkt.
Luciana Ferrando
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen