Wortballast in der Black Box

RAFPeter Glockner zeigt die Textcollage „Stammheim/Medea?“ in der Brotfabrik – er schlägt den Bogen von Euripides zum Deutschen Herbst

Vielleicht ist ja auch mal gut. Vielleicht ist die Zeit vorbei, wo die Thematik RAF an sich schon Interesse erzeugt. Vielleicht sind die siebziger Jahre mit ihren kastenförmigen Autos und den Männern mit langen Haaren, den bunten Klamotten und der verstaubten Spießigkeit der Normalbürger inzwischen nicht mehr vermittelbar, zu weit entfernt von heutigen Wirklichkeiten. Der Terror kommt mittlerweile woandersher, der Terror an sich ist ziemlich heruntergekommen, vergleicht man die logistischen Leistungen der damaligen Linksterroristen mit den (islamistischen) Terroristen von heute.

Der Schriftsteller oder besser Psycho- und Gesellschaftstheoretiker Klaus Theweleit hat sich, obwohl Generationsgenosse, nur wenig, und wenn dann eher widerwillig mit der RAF beschäftigt. Ausführlicher hat er sich mit der mythischen Figur Medea beschäftigt – der von Jason und den Argonauten entführten Tochter eines Königs vom Schwarzen Meer, die später von ebendiesem Jason hängen gelassen wird und sich blutig rächen wird („Buch der Königstöcher“, 2013). Der antike Dramatiker Euripides hat die Geschichte der Medea für die Nachwelt aufgeschrieben, später irrlichterte die Figur weiter durch die Literatur, unter anderem bei Ovid, Schiller, Heiner Müller, Christa Wolf und vielen anderen.

Sandsack. Nebelmaschine. 13 zahlende Zuschauer

Der Regisseur Peter Glockner hat nun zusammen mit der Schauspielerin Patricia von Miserony eine Textcollage aus Medea-Texten auf die Bühne gebracht und sie etwas dürftig mit Texten zu Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Andreas Bader verschaltet. Nach der Premiere in München gastiert das Stück für vier Abende in der Berliner Brotfabrik. Das Stück selbst heißt „Stammheim/Medea?“ und ist, wie zuletzt „2. 6. 1967 – Der Schuss“, an der Neuköllner Oper der nächste kleine, zum Scheitern verurteilte Versuch, eine zeitgemäße theatrale Antwort auf die Ereignisse von damals auf die Bühne zu bringen.

Im Falle von „Stammheim/Medea?“ liegt das zuvorderst an der Collage selbst. Zusammengehalten werden die erratisch herumstehenden Textblöcke aus den Euripides-Originalstücken und besonders Heiner Müller zumeist von Patricia von Miserony, die sich hier in der kleinen „Black Box“ des Brotfabrik-Theaters einen Wolf spielt und in kleinen Zwischenstücken viel von sich selbst oder zumindest dem Werdegang einer Schauspielerin erzählt: was im Grunde die interessanteren Texte sind. Zwischen Schminktisch und Konkurrenz zur Zweitbesetzung flackert da Leben auf, das ansonsten zu oft fehlt.

Besonders die Heiner-Müller-Texte haben mit der Zeit entweder reichlich Staub angesetzt oder wirken ob ihrer gesuchten Drastik inzwischen hauptsächlich lächerlich: „Was aber bleibt, stiften die Bomben“ oder „Der Himmel ist ein Handschuh“. Solche Sentenzen gab es reichlich.Von Miserony, Jahrgang 1958, die selbst viele politische und gesellschaftliche Brüche erlebt hat, spielt jedenfalls mutig und selbstlos gegen die Umstände an. Ein Sandsack, eine kleine Nebelmaschine, 13 zahlende Zuschauer. Ein Gong, der etwas Struktur gibt, ein paar Videos in Dauerschleifen im Hintergrund: Kraftwerk und Björk und Manuelas „Mein Freund, der Baum“, und noch mal Kraftwerk – zwei-, dreimal zu oft. Ansonsten eben Text, viel Text, den von Miserony mit ihrer eindrücklich süßlichen Stimme perfekt intoniert: Doch leider bleibt vieles in der Luft hängen. „Du kennst den Text“, sagt sie einmal, und: „Schlimmer als der Tod ist alt werden“, aber was das alles mit uns und/oder der RAF zu tun hat, bleibt weitgehend offen.

Bei all dem Wortballast ist man recht froh über die Zeichen, die von Pop und Alltag erzählen: von Miserony im dunkelblauen Schlafshirt, auf dem „Los Angeles, California, 1922“ steht. Könnte fast Laura Dern in „Inland Empire“ sein.

Das Stück krankt an der fehlenden Verankerung, zugleich will es zu viel. Klaus Theweleit, um die Klammer zu schließen, hat in „Ghosts“ einmal sehr gut das grundsätzliche Problem von Kunst ausgeführt, die sich an große politische Themen wagt: „Hängen an den großen Themen ; Furcht vor Produktion von Belanglosigkeiten. Letztlich verbindet allein dieser Punkt mit dem Radikalanspruch der Toten von Stammheim: nicht im Belanglosen bleiben … Woher diese Furcht beim Künstler? (…) Seine Furcht, das Belangvolle zu verfehlen, ergibt sich aus der Wahrnehmung, dass seine Trennung vom politischen Prozess (…) tatsächlich riesengroß ist; der Entfernung der RAF von wirklicher Politik wiederum vergleichbar.“ René Hamann

Bis 3. 9., je 20 Uhr, Brotfabrik, Caligariplatz 1