Europaküche Dass Schnecken hervorragend zu Innereien passen, kann man auf Mallorca lernen. Wem das zu experimentell ist, der mache einfach eine Currywurst-Variation daraus
: Schneckwurst zur Völkerverständigung

Von Philipp Mausshardt
(Text) und Juliane Pieper (Illustration)

Meine Oma hat in ihrem Leben noch nie eine Olive gegessen. Als junge Frau wusste sie noch nicht einmal, was das ist. Und als es Oliven schließlich auch im schwäbischen Reutlingen zu kaufen gab, war sie schon alt und wollte sich nicht mehr an so neumodisches Zeug, wie sie die Oliven nannte, gewöhnen.

Auch Kapern aß sie nie, Gemüse­sorten wie Auberginen oder Zucchini („Sutschini“) konnte sie nicht richtig aussprechen, und in ihrem Gewürzregal standen lediglich Salz, Pfeffer, Muskat, Lorbeer und Majoran. Noch vor 60 Jahren war das Angebot in den deutschen Küchen wie der meiner Oma doch sehr überschaubar. Das, was auf den Tisch kam, war vor allem die heimische deutsche Küche. Erst die sogenannten Gastarbeiter (und die moderne Kühltechnik) machten unsere Gerichte abwechslungsreicher. Da war das Modewort „Fusion“, welches heute in aller Munde ist, aber noch nicht erfunden.

Mein Sohn ist 19 Jahre, er hat in seinem Leben noch nie einen Sauerbraten selbst gemacht. Stattdessen weiß er aber, wie man Sushi rollt und ein japanisches Wagyu-Steak, das teuerste Rind der Welt, richtig schneidet. Wenn er Hunger hat, kann er entscheiden, ob er lieber beim Chinesen, beim Türken oder beim Mexikaner seinen Imbiss einnimmt.

Kulinarisch sind wir längst grenzenlos geworden, und wahrscheinlich gibt es wenige Länder, in denen das Angebot an internationalen Restaurants so weltumspannend ist wie hier. Nigerianisch, georgisch, kreolisch – kein Problem: Zumindest in Berlin hat noch jeder Koch der Welt seine Nische gefunden. Dagegen ist nichts zu sagen, selbst wenn damit der schwäbische Sauerbraten womöglich immer wieder der Konkurrenz zum Opfer fällt.

Aber bei aller Weltliebe: Überfordert uns nicht allein schon der europäische Küchenwahnsinn zwischen Spitzbergen und Palermo, zwischen Kiew und Brest? Wir können zwischen südindischer und nepalesischer Küche unterscheiden, aber was wissen wir vom maltesischen Stuffat-Eintopf, oder kennen wir den Unterschied zwischen polnischen, finnischen und russischen Piroggen? Eher nicht.

Zutaten (für 6 Personen):

200 g mallorquinische Schnecken (Weinbergschnecken ohne Schale)

6 Kalbsbratwürste

3 Zwiebeln

2 Knoblauchzehen

5 Tomaten

1 Chilischote

Lorbeer, Salz, Pfeffer, Currypulver

50 g Zucker

2 EL Essig

Zubereitung: Die klein geschnittenen Zwiebeln mit Knoblauch scharf anbraten. Mit den ebenfalls in Stücke geschnittenen und gehäuteten Tomaten mischen und einkochen lassen. Zucker und Essig zugeben und weiter köcheln, bis eine dickflüssige Masse entsteht. In einem anderen Topf die vorher schon gekochten und von den Innereien gesäuberten Schnecken in einem Liter Wasser zusammen mit Lorbeerblättern, Majoran, Zitronenmelisse und der Chilischote etwa eine Stunde leicht köcheln lassen. Abgießen und die Schnecken mit den Zutaten aus dem anderen Topf mischen und nochmals etwa eine halbe Stunde gemeinsam bei schwacher Hitze ziehen lassen, bis eine dickflüssige Masse entsteht. Bratwürste anbraten, in Stücke schneiden und mit den Schnecken vermischen. Currypulver obendrauf streuen. Dazu passt: Sangria. Aber nicht aus Eimern.

Europa ist für viele von uns noch kulinarisches Expeditionsgebiet, ein weißer Fleck auf der Speisekarte. 28 EU-Mitgliedstaaten gibt es, alle wiederum unterteilt in Regionen mit einer eigenständigen Küche. Sie machen den Kontinent und sein Essen so abwechslungsreich.

Es gibt eben keine „europäische Küche“, auch wenn manch aberwitziger Gastwirt genau das auf sein Wirtshausschild schreibt. Vor solchen Lokalen sei heftig gewarnt!

Was dagegen wunderbar funktioniert: die gegenseitige Befruchtung bestimmter europäischer Küchenstile. Die Erkenntnis, dass eine sizilianische Zitrone zu einem irischen Wildlachs durchaus Sinn macht. Der regionale Absolutismus und Fanatismus der letzten Jahre haben zum Glück wieder etwas an Fahrt verloren und werden heute fast nur noch von Irrlichtern des Kochgewerbes in ihrer Reinform betrieben.

Mir ist vor ein paar Wochen ein Gericht auf dem Teller begegnet, das ich so noch nie gegessen hatte. Und das auf Mallorca! Einer Insel, von der ich kulinarisch nichts Neues erwartet hatte. Ich saß am Hafen von Port de Sollér in einem Restaurante und schaute über den Rand der Speisekarte, wie langsam die Sonne im Meer versank. Ungläubig las ich: mallorquinische Caragols (Schnecken) mit Mondongo (Kutteln) für 14 Euro. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber es schmeckte großartig.

Wir können zwischen südindischer und nepalesischer Küche unterscheiden, aber kennen wir den ­Unterschied zwischen polnischen, ­finnischen und ­russischen Piroggen?

Am nächsten Tag auf der ­Ballermann-Promenade bei Palma: An den Currywurstbuden drängten sich die Teutonen und ahnten nicht, was ihnen ein paar Kilometer weiter an Hochgenuss entging. Sie erinnerten mich an meine Großmutter, die auch immer nur das aß, was sie kannte.

Man müsste sie überlisten, um ihnen neue Geschmacks­welten zu eröffnen. Die Kutteln wie eine Currywurst verpacken, als Camou­flage-Gericht. Das könnte funktionieren.

Die Curry-Schnecken-Wurst wäre ein Beitrag zur Völkerverständigung. Auf dass Europa sich weiter halbwegs einig bliebe. Guten Appetit!

Finale: Mit dieser Folge ­endet Philipp Maußhardts Mission, mit seiner „Europaküche“ den Kontinent mit dem Kochlöffel zu retten. Schon bald gehen seine kulinarischen Entdeckungsreisen an dieser Stelle mit einem neuen Format weiter.