Kolumne Latino Affairs: Feste feiern und blockieren
Karneval, Müll, Barrikaden: Die Menschen im südmexikanischen Oaxaca nutzen das Guelaguetza-Spektakel, um zu protestieren.
Die Sache mit dem Müll ist hier im südmexikanischen Oaxaca etwas kompliziert. Wer nicht zwischen Kaffeeresten, Plastikverpackungen und gammelndem Gemüse untergehen will, muss die Signale hören. Und zwar morgens, in aller Herrgottsfrühe, zwischen sechs und sieben Uhr.
Um diese Zeit hält an der nächsten Ecke der Müllwagen. Um darauf hinzuweisen, läuten die Müllmänner zwei, drei Mal mit einer Glocke, die einen aus den Träumen reißen sollte. Alle Nachbarn rennen dann auf die Straße, bepackt mit Plastiktüten oder Eimern. Man begrüßt sich mit einem freundlichen „Buenos dias“.
Im Normalfall klappt das. Aber in den letzten Wochen war nichts normal. Denn derzeit findet die Guelaguetza statt. Wie jedes Jahr im Juli kommen Menschen aus den indigenen Gemeinden in die Landeshauptstadt, um zehn Tage lang ausgiebig zu tanzen, gut zu essen und viel Schmuck, Tücher sowie anderes Kunsthandwerk zu verkaufen.
Eine Art Karneval der Kulturen der Zapoteken, Mixteken und Triquis: Umzüge in bunter Kleidung und mit riesigen Figuren aus Pappmaché, Konzerte mit traditionellen Blasorchestern und Partys mit Techno-DJs, die ihren Sound mit lokalen Trompetern, Saxofonisten und Tuba-Bläsern fusionieren, etwa mit den Mescaleros de la Sierra. Das Spektakel zieht über 130.000 Touristinnen und Touristen aus aller Welt in die Stadt. Damit ist die Guelaguetza eine der wichtigsten Quellen für die lokale Ökonomie.
Das nutzen natürlich auch alle, die Druck gegen die gewalttätigen Verhältnissen in der Region entwickeln wollen. Zum Beispiel die Bürgerinnen und Bürger aus Zaachila, einem nahe gelegenen Dorf, hinter dem der städtische Müllplatz liegt. Seit Langem werden sie von der paramilitärischen, der Regierung nahestehenden Frente popular 14 de junio terrorisiert.
Dazu muss man wissen, dass im gleichnamigen Bundesstaat Oaxaca, von einer kurzen Ausnahme abgesehen, seit über 80 Jahren die korrupte Partei der Institutionellen Revolution (PRI) regiert.
Um also den PRI-Gouverneur dazu zu zwingen, seine „Frente“ in Schach zu halten, errichteten die Menschen aus Zaachila eine Barrikade – und kein Müllwagen konnte mehr die Straße passieren. Tagelang. Vor der Guelaguetza. 800 Tonnen Abfall sammelten sich täglich an, einige davon zierten recht bald Parkanlagen sowie Flussufer. Und unseren Hof.
Doch noch bevor die ersten Touristen die vermüllte Stadt erreichten, hatte sich bereits die „Sección 22“ angekündigt, eine Lehrergewerkschaft, die schon 2006 von sich hören ließ. Damals besetzte sie mit indigenen und linksradikalen Organisationen ein halbes Jahr lang Oaxaca, bis Soldaten dem Aufstand ein blutiges Ende bereiteten. Aber die Lehrer geben nicht auf.
Während der Guelaguetza dieses Jahr blockierten sie mit quergestellten Bussen einige Straßen, um Touristen die Einreise zu erschweren. Zweifellos haben sie guten Grund zu protestieren. Sie fordern etwa, den Tod von elf Kollegen aufzuklären, die letztes Jahr während einer Blockade ermordet wurden. Dennoch sind nicht alle „Oaxaceños“ erfreut, wenn die radikalen Lehrkräfte Ärger machen. Viele sind genervt vom ständigen Krawall, von Barrikaden und Protestcamps.
Doch die befürchteten Schlachten blieben aus, von ein paar wenigen Steinen abgesehen herrschte Frieden. Und während die Touristen doch noch auf ihre Kosten kamen, feierten etwa 20.000 Gewerkschafter auf ihrer autonomen, „populären Guelaguetza“ ihre eigene Party, mit viel Mescal-Schnaps, indigenen Tanzgruppen und revolutionärer Folklore. Oaxaca sei eben „feier- und konfliktfreudig“, sagen die Leute hier. Aber auch in Zaachila hat man zunächst das Feiern dem Konflikt vorgezogen. Die Glocke läutet jedenfalls wieder. Wie immer in aller Herrgottsfrühe.
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