: Bad Taste Guy
Tanz Michael Clark und der Mythos des Punk beim Festival Tanz im August in Berlin
von Astrid Kaminski
Publikumsfänger zu sein, das ist offenbar der kulturpolitische Auftrag für Virve Sutinen, die seit vier Jahren nun Direktorin von Tanz im August (TiA), dem größten deutschen Tanzfestival, ist. Diesen Auftrag betont sie selbst sowie Annemie Vanackere, Leiterin des Berliner Theaters Hebbel am Ufer, unter dessen Dach TiA stattfindet. Nicht, dass das Festival unter Publikumsschwund gelitten hätte. Aber wie auch immer, Intendant*innen tun momentan gut daran, sich vor Kulturpolitikern zu fürchten. Es wird an international Erfolgserprobtem eingekauft, was so in die Taschen passt. Zum Beispiel Michael Clark. Dazu Gespräche, „Meeting of Minds“, genannt, bei denen sich Tanz- und andere Promis bestaunen lassen.
Clark, mit der Produktion „to a simple, rock ’n’ roll … song“ beim Festival vertreten, trifft dort auf den Starfotografen Wolfgang Tillmans. Das Wichtigste, was er zu sagen hat: „Everybody is gay now. I want to become straight. Can you help me out here, Virve, I mean after the talk?“ Auch ansonsten setzt Mastermind Clark ganz auf bad taste guy. Auf seinem T-Shirt ein apricotfarbenes Hakenkreuz, sehr leuchtend, groß, auch von ferne erkennbar. Der Schriftzug darüber lässt sich nur aus der Nähe entziffern. Grob verpixelt steht da wahrscheinlich „DESTROY“.
Was ist gut an Michael Clark? In so ziemlich jeder Besprechung seiner Werke steht, dass er einmal Punk war. Junkie. Alk. Ein Leck-mich-am-Arsch-Typ. Und während er das meiste davon überwunden habe, Punk sei er irgendwie immer noch, „Rebell“ heißt es im Programmheft. Immer noch subversiv. So viel zur Blase. Nun zu dem, was drinnen ist: Acht respektable Balletttänzer*innen in schwarz-weißen Unitards, später in Latex-Schlaghosen oder metallisch anthrazit-silber gefleckten Trikots tanzen angestrengt zu Erik Saties Möblierungsklassiker „Ogives“, zu Patti Smith’ grungy „Horses“ (das auf „to the simple rock & roll song“ endet), zu einem David-Bowie-Mix (vor allem aus dem letzten Album „Blackstar“). Eine Musikauswahl, auf die sich alle einigen können. Auf YouTube-Klicks im achtstelligen Bereich. Good taste. Wie ein Coffee to go next to Starbucks.
Satie wird eins zu eins und mit sehr klassischer Attitüde auf die Akkorde getanzt, ohne dass die Choreografie etwas mit der Klangarchitektur und ihren Motiven anzufangen wüsste. Sich kreuzende horizontale und diagonale, manchmal kurz gebrochene vertikale Achsen, Wiederholungen simpler Raumfiguren, viel Aufgänge, Abgänge. Offenbar werden hier von Frederick Ashton über Merce Cunningham bis Yvonne Rainer mehrere Satie-Choreografien zitiert und zu einer seltsam technizistischen Melange gemixt: Balancen auf halber Spitze, Arabesques, Drehungen, Grands jetés aus dem Stand. Zu Patti Smith, vor Op-Art-Hintergrund aus digitalen Zahlenstrudeln (Charles Atlas), geht es vor allem um den Hintergrundschick und die Musik. „There is no sea …“.
Auf einem Feld bei Spandau
Dann Bowie, erwartetes Finale. Tatsächlich: sukzessive erweitertes Vokabular. Hier eine Spur mehr Urban. Dort eine Spur mehr Clark. Dazu Gothic-Stimmung. Eine Augenbinde kommt ins Spiel. Ein fledermausartiges Wesen. Bowies Blackstar. Durchmisst die Diagonale, wirft sich wie ein Fußballspieler auf die Knie. Schnalzen. Plattes Ende. Punk? Rebellisch? Hat es irgendetwas mit Punk zu tun, wenn ein mehr als 40 Jahre alter Song, der damals den Punkrock mitbegründet hat, zur Ballettmusik wird? Zeit, den Choreografen Michael Clark von seinem Enfant-terrible-Nimbus zu befreien: „to a simple, rock ’n’ roll … song“ ist Ballettdesign in Sonnenuntergangs- und Weltallfarben, das niemandem wehtut, geeignet für Leute, die schon im Voraus wissen, was sie sehen wollen.
Die Rolle des Festival-Punks könnte hingegen Rudi van der Merwe übernehmen, den Virve Sutinen am selben Wochenende dem deutschen Publikum erstmals vorstellt. Outdoor, auf einem Spandauer Feld, baut er sein Set für „Trophée“ auf. Angedeutete Grenzzäune, die zu Soldatenfriedhöfen werden. Barocke Gestalten in Reifröcken und umhäkelten Tropenhelmen, die sich aus der Horizontlinie lösen, gemessen wie Wiedergänger von Despoten durch die weißen Kreuz-Reihen tanzen. Wenn sie sprechen könnten, würden sie vielleicht sagen: Erleuchtung ist Auslöschung Unerleuchteter. Design, aus dem es spukt.
Und dann, noch ein Zitat von Rudi van der Merwe, auf der kollektiven Busfahrt zurück zum Festivalzentrum – der Neonazi-Demo zum Rudolf-Heß-Todestag in Spandau ausweichend: „Ich bin in Südafrika auf einer Ranch, aufgewachsen. Schießen lernte ich, bevor ich sprechen konnte. […] Mit zwölf hörte ich auf zu jagen. Das hat mir mein Vater nie verziehen. […] Dann wurde ich Vegetarier.“ Das Gute daran, seinen Punk nicht ganz herauszulassen, ist ja, dass er immer noch ein bisschen in einem steckt.
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