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Polen unter KaczyńskiDer Manager der Opposition

Ryszard Petru ist das bekannteste Gesicht der polnischen Opposition. Wie kämpft er gegen die autokratische Regierung der PiS?

Das Tragende, die große Geste fast beiläufig – das kann Ryszard Petru Foto: Gregor Zielke

Warschau taz | Endlich ist der Vorsitzende da. Eine kleine Entourage folgt Ry­szard Petru, als er den Sitzungssaal betritt, er ist zu spät, das ist kein Zufall. Das Getuschel seiner Parteikollegen verstummt. Petru nimmt am Kopfende des Tisches Platz, es besteht kein Zweifel, wer hier, in einem Konferenzraum im Warschauer Parlamentsgebäude, die Autorität ist.

Petru will mit seiner Partei über Europa sprechen, den Ausgang der Wahlen in Frankreich feiern, Macrons Sieg, den er als Zeichen für ein starkes Europa und gegen Populismus sieht. Und vielleicht als Hoffnungsschimmer für sich und seine Partei.

Den kann Petru gebrauchen. Der 45-Jährige kämpft gegen die nationalkonservative Regierungspartei PiS. Die Partei baut seit ihrem Wahlsieg im Oktober 2015 den polnischen Staat sukzessive um: ein neues Mediengesetz, die Einschränkung der Arbeit des Verfassungsgerichts, ein strenges Versammlungsrecht. Das sind nur einige der vielen Schritte zu einem neuen Polen, einer „Vierten Republik“, wie der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński sie sich wünscht.

Petru stemmt sich gegen all das. Als im Frühjahr 2015 der Präsidentschaftskandidat der PiS, Andrzej Duda, gewann, beschloss er, seine eigene Partei zu gründen. Nowoczensa – Moderne. Er stilisiert sie als Anti-PiS-Partei, so erfolgreich, dass er nur fünf Monate später mit ihr ins Parlament einziehen kann.

Auch danach steigen seine Umfragewerte weiter, immer dichter an die Bürgerplattform PO heran, die seit 2007 regiert hatte und dann stärkste Oppositionspartei wurde. Doch im Dezember brach Nowoczesna ein. Seither stellt sich die Frage: Wie arbeitet man als demokratischer Oppositioneller in einem immer autoritärer werdenden Staat?

Die Euphorie ist gewichen

Nach der Debatte sitzt Ryszard Petru in seinem Parlamentsbüro im Warschauer Stadtzen­trum. Schwere Holzschränke und dunkle Ledersofas. Die Euphorie über Europa ist gewichen. Petru ist nun wieder der Pragmatiker, der sich für seine Wähler zwischen der Ablehnung alter Machteliten und dem populistischen Chaos der neuen Politikergeneration einordnen muss. „Wir versuchen jetzt, uns auf unsere Kernaussagen zu besinnen und diese für den Wähler in den Vordergrund zu stellen.“

Doch fragt man ihn, wofür Nowoczesna im Detail steht, legt Petru nur ein Parteiprogramm auf einen kleinen Kaffeetisch vor sich, lehnt sich in seinen Sessel zurück und schlägt die Beine übereinander. Petru managt lieber, als Grundsätze zu diskutieren. Hinter ihm stehen eine polnische und eine europäische Fahne. Staatsmännisch – das kann Petru, das Tragende, die große Geste fast beiläufig. Dabei hatte er kaum Zeit zum Üben.

Petru klatschte aus der zweiten Reihe mit. Er ist beschei­dener geworden

Petru ist ein ausgewiesener Ökonom, hat für die Weltbank gearbeitet und war Assistent von Leszek Balcerowicz, Polens legendärem und umstrittenem ehemaligem Finanzminister. Der sorgte in den frühen 90er Jahren für den Umbau Polens vom Staatssozialismus zu einem marktliberalen Musterland – eine Erfolgsgeschichte, jedoch nicht auf ganzer Linie.

Über den Wachstumszahlen wird gern vergessen, wie viele vor allem junge Menschen in jener Zeit abgehängt wurden und sich in schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen wiederfanden und bis heute befinden. Viele Wähler sind deshalb enttäuscht von der früheren Regierungspartei PO. Auch Petru.

Er gilt als kompetenter aber auch herzloser Reformer

Petrus Nähe zu Balcerowicz verlieh ihm das Image eines kompetenten Wirtschaftsmanns, viele sehen in ihm aber auch einen herzlosen Reformer. Er gilt als ambitioniert, er denkt und spricht schnell. Kaum ein Politiker ist so oft im Fernsehen zu sehen wie er – zumindest auf den privaten Kanälen. Die öffentlich-rechtlichen Sender berichten überwiegend regierungskonform.

Ryszard Petru fährt sich mit seiner Hand nervös durch die Haare. Ohnehin diese Frisur! ­Petrus militärisch-borstiger, ak­kurat geföhnter Schnitt ist zu seinem Markenzeichen geworden. Er verleiht ihm etwas Spitzbü­bisches, macht ihn zugänglicher. Das ist nötig, denn seine tiefe, surrende Stimme hebt oder senkt er kaum. So zwingt er sein Gegenüber, genau hinzuhören, um zu verstehen, was seine Botschaft ist. Vor der Kamera bringt ihm das Respekt ein, aber nur selten Sympathien.

Nach seinem Einzug ins Parlament wurde Petru rasch zum Gesicht der Opposition, genoss die neue Rolle, obwohl seine Partei nur 29 Sitze besetzt. Zum Vergleich: Die andere Oppositionspartei, die Bürgerplattform PO, kommt auf immerhin 138 von insgesamt 460 Sitzen. In Umfragen lag Nowoczesna mit PO fast gleichauf – bis Dezember 2016.

„Jede Partei macht mal Fehler, auch ich persönlich habe Fehler gemacht“, sagt er. Dann schweigt er in Erwartung der nächsten Frage, des nächsten Themas, Hauptsache, es ist etwas anderes als sein PR-Debakel im Winter.

Vom Protest in den Urlaub

Petrus Partei war über die Weihnachtstage anführend gewesen, als Abgeordnete der PO und seiner Nowoczesna den Plenarsaal des Parlaments besetzten. Sie protestierten gegen eine geplante Einschränkung der Parlamentsberichterstattung und einen Haushaltsbeschluss. Aber eigentlich ging es um mehr: Sie hatten genug von den maßlosen Umwälzungen der Rechtspopulisten, die Angst um ihr Land trieb sie an – die Angst um Demokratie.

Die Stimmung im Plenarsaal war zuvor gereizt, fast wäre es zu Handgreiflichkeiten gekommen. Dann verließen die Abgeordneten der PiS den Saal. Petru war bei der Besetzung dabei, verabschiedete sich dann aber in den Urlaub – zusammen mit einer Parteikollegin.

Es sah aus, als hätte der Vorsitzende seine Leute im Stich gelassen, um sich mit seiner Geliebten eine schöne Zeit auf Madeira zu machen. Das „Madeiragate“ stürzte den verheirateten Vater in ein Umfragetief. PiS-­Mitglieder und Regierungs­medien schlachteten den Skandal genüsslich aus.

Und dann, einige Monate später, griff auch noch Donald Tusk nach der Oppositionsführerschaft. Im April dieses Jahres war Tusk vor ein Warschauer ­Gericht geladen, um als Zeuge auszusagen. Der Ex-Premier ist EU-Ratspräsident, also die meiste Zeit in Brüssel, und schwebt gewissermaßen über dem politischen Irrsinn in Warschau.

So konnte er Kräfte sammeln und wieder an Zustimmung gewinnen. Tusk kam mit dem Zug nach Polen, die Kameraleute brachte er gleich selbst mit. Als er im Hauptbahnhof einfuhr, warteten seine Gegner und Anhänger bereits. Eine Schar von Fans begleitete ihn.

Eine frische liberale Kraft

„Nowoczesna ist als frische Partei ins Parlament gekommen, als liberale Kraft“, sagt Petru in seinem Büro. Die alte Regierung um Donald Tusk wurde schließlich auch abgewählt, weil sie als verstaubt, arrogant und korrupt gegolten hatte. Petru und seine Nowoczesna stehen für eine wirtschafts- und investitionsfreundliche Politik, für Rechtssicherheit und, wie auch die PO, für einen festen Platz Polens in der EU.

Petru und seine Partei stecken in einem Dilemma. Einerseits wollen sie ein Neuanfang sein, modernere, europäische Politik machen als ihre Konkurrenten. ­Petru bekommt Zustimmung zu seiner Wirtschaftskompetenz, weil er Teil der internationalen Finanzkaste ist. Doch genau das beschert ihm auch Ablehnung: wenn er mit den Akteuren der alten Machtelite auftritt, auftreten muss, weil Politik nun einmal nicht ohne Mitstreiter funktioniert.

Petru versucht es mit einer neuen Strategie: Als vor einigen Wochen Zehntausende Menschen im ganzen Land gegen die geplante Justizreform auf die Straße gingen, stand in Warschau nicht Petru, sondern Kamila Gasiuk-Pihowicz am Mikrofon. Die 34-jährige Abgeordnete hielt eine flammende Rede für unabhängige Gerichte und wurde bejubelt. Petru klatschte aus der zweiten Reihe mit.

Seine Ziele sind bescheidener geworden

Er ist bescheidener geworden. „Unser Ziel ist es, fünfzehn Prozent zu erreichen, nicht dreißig“, sagt er. Nach wie vor ist Petru ­eines der Gesichter der Opposition, er ist zu smart und zu ver­bissen, um sich ins Abseits drängen zu lassen. Aber vorwärts kommt er auch nicht: Die Partei von Jarosław Kaczyński liegt mit mehr als 40 Prozent weiter vorn, trotz ihrer autoritären Politik, trotz der Reformen, die inzwischen selbst die EU scharf kritisiert. Proteste und innerparteilicher Zwist hin oder her.

Anfang 2016 noch konnte Petru vor Selbstbewusstsein kaum stillsitzen. Damals war für viele nicht klar, ob PiS mit ihren radikalen Reformen überhaupt eine Legislaturperiode überstehen würde. Petru war guter Dinge, in Warschau erwarteten Beobachter, dass er in einer neuen Regierung mindestens ein Ministeramt bekäme. Doch dazu ist es nie gekommen.

Einen Machtwechsel gibt es, wenn überhaupt, nur regulär nach den nächsten Parlamentswahlen. Also erst 2019. Darauf wartet Petru. Wer genau hinschaut, sieht, dass sich eine andere Nuance in das selbstbewusste Auftreten des Oppositionsführers mischt. Zwischen der polnischen und der europäischen Fahne in seinem Büro steht er zwar immer noch mit gerader Haltung, aber die Zuversicht fehlt.

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