THEATER

TheaterEsther Slevogtbetrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen

Die erste Berliner Bühne mit diesem Namen erlangte schon am Ende des 19. Jahrhunderts Weltruhm: Der Wintergarten in der Friedrichstraße – ein Varieté-Theater, das sich auf der Ebene der damals gerade erst im Entstehen begriffenen Populärkultur an Phänomenen der Moderne abarbeitete. Auch die Moderne fing damals ja gerade erst an, und das Varieté wurde das populäre Panoptikum ihrer noch nicht reflektierten Phänomene. So spiegelten sich beispielsweise Entindividualisierung und Entfremdung durch die Technisierung in den glamourösen, Beine schwingenden Mädchen-Balletts. Der Soziologe und Philosoph Siegfried Kracauer sah in ihnen schon damals „keine einzelnen Mädchen mehr, sondern unauflösliche Mädchenkomplexe, deren Bewegungen mathematische Demonstrationen sind“. Auch zeigte der Wintergarten unter der Überschrift „Menschen Tiere Sensationen“ manches, dem nicht gleich anzumerken war, dass hier gerade Bahnbrechendes geschah: die erste Vorführung eines Filmes durch die Brüder Skladanowsky zum Beispiel, die ab 1895 als Schlussnummer des Varieté-Programms gezeigt wurden. Darunter auch ein etwa einminütiger Streifen mit dem schönen Titel „Das boxende Känguruh“ zu, eine Art Ur-Gif-Animation. Das Etablissement „Der Wintergarten“ war wie gesagt weltberühmt, bis 1933 erst die Nazis und 1944 dann eine Bombe ihm den Garaus machten.

1992 wurde in der Potsdamer Straße ein Etablissement mit dem berühmten Namen „Wintergarten“ wieder gegründet. Und hier gab es sie seitdem wieder, die typische Mischung aus Show, Zauberei, Akrobatik, also Entertainment pur – natürlich stets von nostalgischem Flair geprägt. Diese Wiedergründung ist inzwischen 25 Jahre her, und deshalb ist gerade das Programm besonders fett. Da gibt es zum Beispiel die hinreißende Show „Sayonara Tokyo. Geishas! Tamagotchis! Edelweiß!“ von Stephan Prattes, Jo Roloff und Hakan T. Aslan, die mit den Mitteln des Genres „Revue“ von der Vielfalt der Kultur Tokios erzählt. (Wintergarten: „Sayonara Tokyo“, Mi.–Sa., jeweils 20 Uhr, So. 18 Uhr).

Hinzuweisen wäre auch auf die Open-Air-Installation „Beyond The Wall/Jenseits der Mauer“ von Stefan Roloff, der seit dem Jahrestag des Mauerbaus am 13. August (bis zum 9. November, dem Jahrestag des Mauerfalls) die Westend-Gallery mit großformatigen Videostills des einstigen Grenzgebiets mitten in Berlin und Zeitzeugenporträts bespielt. Damit wird noch einmal ein Abschnitt Berliner Geschichte vergegenwärtigt, der inzwischen schon genauso lange vergangen ist, wie er einmal bestand: die Zeit der Berliner Mauer nämlich.