: Meditative Übungen
Klangkunst Ein behutsames Verschwinden hinter dem Werk: Die „Lines and Traces“-Schau in der Daadgalerie verfolgt die Entwicklung von Max Eastley
Die Ausstellung „Lines and Traces“ mit Arbeiten des britischen Klangkünstlers Max Eastley in der Daadgalerie, Oranienstr. 161, ist bis 3. September zu sehen (und zu hören). Di.–So. 12–19 Uhr.
Die Ausstellung findet im Rahmen von Mikromusik statt, dem Festival experimenteller Musik und Sound Art. Vom 22. bis 27. August lassen sich bei dem Festival des Berliner Künstlerprogramms des DAAD an verschiedenen Orten selbst erfundene Instrumente und besondere Hörsituationen erkunden.
Bei der Mikromusik ist Max Eastley auch bei einem Konzert zu hören, zusammen mit John Butcher (Saxofon) und Ute Wassermann (Stimme) am 24. August um 20 Uhr im Studio der Daadgalerie. Bei den Veranstaltungen in der Daadgalerie ist der Eintritt frei, Information: www.daadgalerie.de
Max Eastley steht nicht gerne im Mittelpunkt. Der ältere Herr von zarter Statur würde sich nie in den Vordergrund drängen. Am liebsten lässt er seine Kunst selbst erzählen. Erklärende Texte zu seinen Soundskulpturen, Gemälden und Zeichnungen finden sich nicht in seiner Ausstellung in der Daadgalerie. Dem 1944 geborenen Briten fiel es im Gespräch sogar schwer, sich an die Titel seiner ausgestellten Werke zu erinnern. Aber was sind schon Titel bei Arbeiten, die zusammen mit ihrer Umgebung viel mehr preisgeben, als Worte es beschreiben könnten.
Im Rahmen des Mikromusik-Festivals zeigt die Daadgalerie mit „Lines and Traces“ verschiedene Werke des britischen Künstlers, neben 16 Gemälden und mehreren Zeichnungen sind zwei Klanginstallationen in der Galerie ausgestellt. „Man weiß nie, wann sie anfangen, sich zu bewegen“, sagt der Künstler über seine zwei Soundskulpturen, die mit einem Zufallsgenerator aktiv werden.
Betritt man die Galerie, nimmt man zuerst die große Arbeit auf dem Boden wahr, die an ein Ziffernblatt erinnert. Auf der viereckigen gerahmten Fläche gleitet ein Metallstückchen über den sandigen Boden. Es ist an einer Art Angel befestigt, die sich aus der Mitte heraus immer im Kreise dreht. Deswegen die Assoziation mit einer Uhr mit Zeiger. Immer wieder liegen dem Metallplättchen Steine im Weg. Die leichten Berührungen damit kreieren unerwartet hohe Töne.
Die klaren Klänge und das Kreisen haben eine meditative Wirkung auf den Betrachter. Wie auch die Präsenz des Künstlers selbst ist das Werk leise und bedacht. Ganze 45 Sekunden braucht das Metallplättchen für einen Kreis im Sand, an den Steinen vorbei. Dann beginnt der Zyklus von Neuem.
Die hallenden Töne dieser Arbeit stehen im Kontrast zu den schnellen, hämmernden Geräuschen von gegenüber. Sie kommen von einer im langen Gang der Galerie platzierten und relativ neuen Installation Eastley namens „Rotations 12“. Aus mehreren Metern Höhe hängen zwölf Stäbe aus Carbonfaser, mit Seilen gehalten, knapp über dem Boden.
Drehen sich die motorisierten Ausgangspunkte der Seile, entstehen hypnotisierende, wellenartige Bewegungen in ihnen – die Stäbe am Ende beginnen zu tanzen und kommen mit lautem Geklacker mit dem Untergrund in Berührung. Die harten Geräusche der Carbonfaserstäbe kontrastieren und ergänzen die hohen Töne der uhrenartigen Skulptur.
Beim Gespräch holt Eastley eine Zeichnung mit der Ausstellungsarchitektur hervor – beim kontrollierenden Blick nach draußen auf die Oranienstraße bezeichnet er die Fenster des Raumes als „visuellen Lärm“, den er in die Ausstellungsplanung einbezogen habe.
Man merkt, dass er sich seiner Umgebung stets bewusst ist. Bereits als er vor etwa 50 Jahren, zur Gitarre singend, in der britischen Folkszene als Musiker angefangen habe, sei die Energie des Publikums das Wichtigste an seinen Auftritten gewesen. „Mit dem Publikum zusammen etwas Neues finden, das war damals mein Ziel“, erzählt er von früher. Die Karriere mit der Gitarre hat er längst hinter sich gelassen – genauso wie das figurative Zeichnen, dessen beeindruckend farbige Beweise man in einer Vitrine in der Galerie findet.
So lässt sich die ganze jahrzehntelange Entwicklung von Max Eastley in der Ausstellung nachvollziehen. „Heute“, sagt er, „soll meine Persönlichkeit in meinen Werken nicht sichtbar sein.“ Die Werke sollen neutral erscheinen, der Urheber nicht erkennbar sein.
Die Arbeiten in der Galerie sind alle sehr unterschiedlich, gerade die Zeichnungen sind stilistisch kaum kategorisierbar. Eine Gemeinsamkeit haben die Werke dennoch: Max Eastley hinterlässt eine geistige Tiefe in ihnen, die nicht gleich an der Oberfläche sichtbar ist – man kann sie aber spüren.
Lorina Speder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen