: Wie klingt die Zukunft?
ATONAL Der BBC Radiophonic Workshop produzierte bis 1996 Soundeffekte, Titelmelodien und Soundtracks für Radio und Fernsehen. Nun treten die in die Jahre gekommenen Klangkünstler erstmals in Deutschland auf
von Stephanie Grimm
Wer einen Briten zum Lachen bringen möchte, kann es zum Beispiel mit der Erwähnung von Major Bloodnoks Magen versuchen. In der „The Goon Show“, einer so surrealen wie legendären Radio-Show der 1950er Jahre (unter anderem fühlten sich die späteren Mitglieder von Monty Python von ihrem speziellen Humor inspiriert) sonderte diese Figur, der der Schauspieler Peter Sellers seine Stimme lieh, absurde Verdauungsgeräusche ab. Und die sind so berühmt geworden, dass vermutlich jeder zweite Inselbewohner darüber schon einmal gekichert hat.
In die Welt gesetzt wurde diese Klangcollage vom BBC Radiophonic Workshop. Die Abteilung des öffentlichen Rundfunks wurde 1958 gegründet, vom Komponisten und Toningenieur Desmond Briscoe und Daphne Oram, einer Frau mit Faible für ‚musique concrète‘. Das Klanglabor produzierte über Jahrzehnte Soundeffekte für Radio und Fernsehen, bis es 1996 geschlossen wurde.
Doch wie kommt es, dass eine Band älterer Herren, hervorgegangen aus eben dieser BBC-Abteilung, bei Atonal auftreten wird – einem Festival, das sich die Avantgarde und das Experimentelle auf die Fahnen schreibt? Nun, die elektronische Musik, wie wir sie heute kennen, hat eine Menge mit dem Klang der Radio- und Fernsehprogramme der sechziger und siebziger Jahre zu tun. Und da kommt der Workshop ins Spiel. Schließlich bastelte man dort nicht nur an Soundeffekten, sondern auch Titelmelodien und Soundtracks.
Die Tüftler beschäftigte unter anderem die Frage: Wie hört sich die Zukunft an, in Klang übersetzt? Oder der Weltraum? So geht zum Beispiel die Musik von „Doctor Who“, der Sci-Fi-Serie um einen Zeitreisenden, oder auch das Sounddesign von „Per Anhalter durch die Galaxis“ (ursprünglich ein Radiohörspiel) auf das Konto der Abteilung. Auch fürs Schulfernsehen arbeitete der Workshop. Und obwohl Mark Ayres – 1960 geboren, ist er das jüngste Mitglied der Band – die Arbeitsbedingungen von einst im Interview als „Fabrikarbeit“ („Montag hieß es: Bis Freitag brauchen wir eine halbe Stunde Musik für diese oder jene Sendung“) beschreibt: Höchst kreativ waren sie trotz Termindruck.
Zuspruch bekam der Workshop auch von Künstlerseite. Unter anderem Pink Floyd und die Beatles schauten vorbei. Auch elektronische Musiker betonen gerne, wie sie der Workshop gelehrt hat, was man mit Klängen anstellen kann. Ayres erzählt, wie er wegen dem Programm „Music, movement and mime“, das Kinder zum Schauspiel motivieren sollte, auf dem Schulhof stand und zu den Klängen des Workshops versuchte, einen Baum darzustellen. Oder ein Raumschiff zu lenken. „Der elektronische Sound war eine großartige Untermalung für ganz unterschiedliche Bildungsprogramme. Wirklich prägend für viele Menschen.“
Heute gehen Bücher (etwa Mark Brends „The Sound of Tomorrow: How Electronic Music Was Smuggled into the Mainstream“), zahllose Artikel und der Dokumentarfilm „Alchemists of Sound“ dem Einfluss des Klanglabors nach. Und natürlich vermittelt die Workshop-Band mittlerweile auch durch ihre Auftritte, wie sie die akustische Welten ihrer und unserer Zeit beeinflusst haben.
Dass fünf einstige Workshop-Mitarbeiter heute miteinander auf der Bühne stehen, ist übrigens Ayres zu verdanken. Den Workshop besuchte der freiberufliche Komponist erstmals als Schuljunge, weil er ein großer „Doctor Who“-Fan“ war. „Vor allem liebte ich, wie die Serie klang. Sie klang, wie nichts anderes.“ Er lernte den mittlerweile 80-jährigen Dick Mills kennen, heute ebenfalls in der Band und bereits seit Gründung in der Soundschmiede beschäftigt (auf sein Konto gehen auch die erwähnten Verdauungsgeräusche). Mitte der 1980er Jahren bekam Ayres einen Job im Workshop. Als der 1996 geschlossen wurde – die Abteilung stand schon lange unter Rentabilitätsdruck, schließlich konnte man Soundeffekte mittlerweile per Knopfdruck aus immer günstigeren Synthesizern abrufen – wurde er (unbezahlter) Verwalter des Soundarchivs.
Anfang der Nuller Jahre bekam Ayres einen Anruf von einer Künstlergruppe. „Sie fragten, ob ich den Soundtrack zu einem Projekt übers Fernsehen im britischen Alltag beisteuern könne – und vielleicht ein paar Ex-Kollegen aus dem Workshop ins Boot holen“. Die freuten sich über den Zuspruch und beschlossen, ihre Zusammenarbeit als Bandprojekt weiter zu führen. Seit 2009 bespielten sie als BBC Radiophonic Workshop Konzertbühnen, nun treten sie erstmals in Deutschland auf.
Vermarktet werden sie gerne als „Buena Vista Social Club der elektronischen Musik“ – ein Label, das es nicht richtig trifft, denn zu Workshop-Zeiten arbeiteten sie gar nicht im engeren Sinn zusammen. Jeder werkelte vielmehr in seinem Büro an Sounds. „Zusammen komponiert haben sie nicht – höchstens Kaffeepause miteinander gemacht“, so Ayres. Das mit dem gemeinsamen Arbeiten holen sie heute nach. Man muss sich jedenfalls keineswegs sorgen, dass ein Konzert des Workshops eine Aneinanderreihung alter Titelmelodien aus Funk und Fernsehen ist.
Sie haben auch neues Material im Gepäck – und das klingt im guten Sinne schräg: „Wir suchen immer noch nach neuen Sounds“, erklärt Ayres. „Früher musst man sich einen Sound basteln, wenn man damit arbeiten wollte. Heute ist alles per Mausklick verfügbar – mit dem Resultat, dass bei Fernsehen und Film alle die gleichen Sounds benutzen. Insofern ist es spannend wie eh und je, Neues zu kreieren.“
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