heute in Bremen: „Die Spirale der Gewalt“
PSYCHIATRIE Bei einem Hearing referieren Ärzte, Pflegende und Psychiatrieerfahrene ihre Sicht
52, Professor, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ist seit 2014 ärztlicher Leiter der privaten Klinik Dr. Heines, Bremen Osterholz.
taz: Herr Gonther, die Veranstaltung heißt „Psychiatrie 2.0“.
Uwe Gonther: Ja, der Name ist schon ein bisschen in die Jahre gekommen: Die Reihe geht ja zurück auf den Bürgerschaftsbeschluss von 2013 zur Psychiatriereform.
Der soll die Konferenz durch Expertenvorträge neue Impulse geben soll. Aber ist die Reform nicht gescheitert?
Nein, das würde ich nicht sagen. So weit würde ich nicht gehen.
Das Ziel war, Gewalt und Zwang der Psychiatrie zu minimieren. Stattdessen mehren sich die Berichte über Sedierungen, willkürliche Fixierungen, die den gegenteiligen Eindruck wecken.
Bloß: Ist das wirklich so? Was wir nicht haben, sind verlässliche Daten über eine Zunahme von Gewalt. Wahr ist allerdings, dass sich gezeigt hat, dass man bei Reformbemühungen die schwierigen Seiten der Psychiatrie nicht außer acht lassen darf. Und wahr ist, dass sich Menschen aus sicher guten Gründen über die erfahrene Behandlung beklagen.
Was folgern Sie daraus?
Das heißt aus meiner Sicht, dass eine Reform nur gemeinsam gelingen kann, also wenn sie die Stimme der Psychiatrieerfahrenen einbezieht und auch die der Pflegenden. Anders lässt sich die Spirale der Gewalt in der Psychiatrie nicht durchbrechen.
Nun sind unter den fünf Experten auf dem Podium heute Ärzte und Psychiatrieerfahrene – aber gar keine PflegerInnen?
Ja, das war ein Konstruktionsfehler: Die Pflegenden sind die größte Berufsgruppe in einer Klinik. Und ein Krankenhaus kann auch nur so gut sein wie seine PflegerInnen. Meinen Kurzvortrag habe ich gemeinsam mit unserem pflegerischen Bereichsleiter Robert Hayduk verfasst. Er wird referieren.
Schon Friedrich Engelken, der im 18. Jahrhundert Ihre Klinik gegründet hat, verzichtete ja weitgehend auf Fesseln für die PatientInnen, seine Söhne und Enkel offenbar auch. Fühlen Sie sich dieser Tradition verpflichtet?
Wir versuchen, hier eine sanfte Psychiatrie zu verwirklichen, insofern: Ja. Dazu stehe ich auch. Aber die Aufgaben der Psychiatrieeinrichtungen sind unterschiedlich. Es wäre genauso falsch, sie gegeneinander auszuspielen, wie es falsch wäre, die Reform auf die stationären Einrichtungen zu beschränken: Wichtig ist meiner Ansicht nach der Ausbau der Prävention in den Stadtteilen, dass also Menschen, die zu psychischen Krisen neigen in ihrer Wohnumgebung Ansprechpartner finden, die ihnen helfen, aus ihrer Misere herauszukommen.
interview bes
Psychiatrie 2.0: Im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Zwang: Bürgerzentrum Neue Vahr, 14–17.30 Uhr
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