„Die Große Koalition ist saubequem“

Bundestagswahl Konstantin von Notz, grüner Bundestagsabgeordneter und Innenpolitiker aus Schleswig-Holstein, im Interview über Jamaika und Große Koalition, grünes Spitzenpersonal, den G20-Gipfel und eine Sicherheitspolitik jenseits repressiver Logik

Steht für grüne Innenpolitik: Konstantin von Notz, Bundestagsabgeordneter aus Mölln Foto: Jörg Carstensen/dpa

Interview Sven-Michael Veit

taz: Herr von Notz, worin besteht der wesentliche Unterschied zwischen den Grünen im Bund und in Schleswig-Holstein?

Konstantin von Notz: Ich sehe da ehrlich gesagt keinen großen Unterschied.

Die im Bund haben miese Umfragen, die in Schleswig-Holstein haben gute Ergebnisse.

Ja, und die in Baden-Württemberg noch bessere. Man sollte da keine Gräben aufmachen zwischen Bund und Land. Richtig ist sicherlich, dass die Grünen im Bund sich die positive Grundhaltung der Grünen in Schleswig-Holstein zum Vorbild nehmen könnten. Wenn man nicht schlecht über andere, sondern gut über sich selbst und die eigenen Themen redet, wie wir es in Schleswig-Holstein getan haben, wird das auch im Bund gut laufen.

Welches sollten denn die Themen sein, die das biedere Spitzenteam Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir verkaufen könnte?

Erstens sind die nicht bieder. Zweitens sind neben diesen Köpfen grüne Themen die entscheidenden für die nächsten Jahre. Ganz aktuell ist das die Modernisierung und Ökologisierung der Mobilität. Der Dieselruß-Skandal erschüttert die deutschen Autokonzerne. Die Verkehrswende hin zu einer umweltverträglichen Mobilität ist ein ur-grünes Thema und sie ist zwingend notwendig.

Trotzdem: Wäre Robert Habeck der bessere Kandidat gewesen?

Also eines muss man doch mal festhalten: Wir haben basisdemokratisch legitimierte Spitzenleute. Bei der SPD wurde das 2013 noch von drei Männern ausgekungelt, dieses Mal hat Gabriel es mit sich allein ausgemacht – von der Union mal ganz zu schweigen. Aber Sie haben Recht: Robert wäre ganz sicher ein sehr guter Kandidat gewesen, deshalb hat er beim Mitgliederentscheid auch ein so tolles Ergebnis bekommen. Aber die knappe Mehrheit hat sich für Cem entschieden, das ist zu respektieren. Deshalb ist diese Kandidatenfrage jetzt müßig. Und Robert war bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai neben Monika Heinold unser großes Zugpferd. Für die Grünen im Land und für Schleswig-Holstein ist es gut, dass er hier weiterhin Minister ist.

46, Anwalt und grüner Bundestagsabgeordneter aus Mölln (Schleswig-Holstein). Im Bund ist er Fraktionsvize der Grünen und war deren Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss. Bei der Bundestagswahl 2017 kandidiert er auf Platz 2 der grünen Landesliste Schleswig-Holstein.

Und auch für Sie persönlich. Hätte Robert Habeck die Urwahl gewonnen, hätte er Ihnen einen sicheren Listenplatz weggenommen. Wie ist aktuell das Verhältnis zwischen Ihnen beiden?

Unser Verhältnis ist gut. Wir haben es geschafft, mit dieser schwierigen Situation, die einige Medien als Dilemma von Shakespearschen Dimensionen beschrieben haben, so fair umzugehen, dass wir immer noch gute Freunde sind. Da ist nichts in die Brüche gegangen. Hätte Robert die Urwahl gewonnen, hätte ich zurückgezogen. Auch damit hätte ich leben können. Jetzt aber kämpfen wir beide gemeinsam für den grünen Erfolg bei der Bundestagswahl.

In Schleswig-Holstein wollten die Grünen die Küstenkoalition mit SPD und SSW fortsetzen und landeten mit CDU und FDP in Jamaika. Droht Schwarz-Gelb-Grün auch im Bund?

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Ich bin sicher, dass es nach der Wahl eine große Dynamik geben wird, die Große Koalition fortzusetzen. Es ist einfach saubequem für die Agierenden, im Parlament nicht für Mehrheiten kämpfen zu müssen. Wenn Angela Merkel, Horst Seehofer und künftig dann wohl Martin Schulz zusammen mit den Fraktionschefs hinter verschlossenen Türen im Kanzleramt Beschlüsse fassen, die die gigantische Parlamentsmehrheit dann einfach nur noch umsetzt, ist das eben höchst bequem.

Sie sind einer der profiliertesten deutschen Innen- und Justizpolitiker. Was sind für Sie persönlich die politischen Schwerpunkte im Wahlkampf und in der nächsten Legislatur?

Wir müssen zu einer effektiven Sicherheitspolitik kommen, die nicht der repressiven Logik dieser Großen Koalition entspricht. Wir müssen weg von Totalüberwachung und Massenspeicherungen gigantischer Datenmengen, sondern Kriminelle und politische Gewalttäter gezielt bekämpfen. Die Integrationspolitik muss dringend intensiviert werden, vor allem durch mehr, frühere und bessere Sprachkurse. Und wir brauchen eine grundsätzliche Reform beim Verfassungsschutz.

„Wir müssen weg von Totalüberwachung“

Konstantin von notz, Grüne

Was würde denn ein grüner Innenminister anders machen?

Zuletzt haben die Ereignisse um den G20-Gipfel in Hamburg gezeigt: Natürlich muss staatliche Gewalt – auch die Arbeit der Polizei und anderer Sicherheitskräfte – immer hinterfragt, aufgearbeitet und wirksam kontrolliert werden müssen. Aber wir brauchen eben auch moderne und bessere Einsatzkonzepte. Denn ein funktionierender Rechtsstaat ist ohne eine gut ausgebildete und gut ausgerüstete Polizei nicht möglich. Diese Modernisierung wäre eine klassische grüne Aufgabe.

Hätte es denn unter einem grünen Bundesinnenminister ein Polizeikonzept wie in Hamburg beim G20-Gipfel gegeben?

Da wird noch einiges aufzuarbeiten sein. Deshalb jetzt nur soviel: Ich glaube nicht, dass eine Einsatzstrategie, die nicht auf Deeskalation setzt, noch zeitgemäß ist. Und man sollte sich bei Großveranstaltungen nicht überraschen lassen – das gilt für die Love Parade in Duisburg, die Silvesternacht von Köln und eben auch den G20-Gipfel von Hamburg. Daraus sollte man Lehren ziehen.