: Kleinbürgerliche Selbstbeweihräucherung
Die Fotos in der Challenging-Chances-Ausstellung im Kapitel 8 der evangelischen Kirche sind sehenswert, aber leider schlecht zusammengestellt. So verkehrt sich die Aussage der Bilder von Geflüchteten in eine Selbstinszenierung
Die Fotoausstellung „Challenging Chances – Flucht im Bild“ soll die Strapazen und Versagungen von Geflüchteten auf ihren Weg nach Europa ins Bremer Bewusstsein rücken. Was im Einzelnen gelingt, geht im Gesamtensemble jedoch verloren. Am Ende transportieren die Bilder eine ganz andere Botschaft: Deutschland ist ein Retter-Staat.
Im Kapitel 8, dem Informationszentrum der Bremischen Evangelischen Kirche, dokumentieren 25 großformatige Fotografien die aktuelle Migrationsbewegung nach Europa. Die Fotos sind nach Etappen geordnet. Den Anfang bilden Aufnahmen aus Afghanistan und den Maghreb-Staaten, es folgen Szenen von der Flucht über das Mittelmeer und schließlich Bilder von Auffanglagern.
Übergreifend sensibel und zum Teil distanziert werden dabei die Lebensbedingungen durch das technische Auge eingefangen. Vermieden werden Opfer-Stigmatisierung und Effekthascherei, vor allem durch Bilder, die die Flucht indirekt ausstellen. So etwa beim preisgekrönten Foto von Mauricio Lima, das einen unfassbar großen Haufen von Rettungswesten an der griechischen Küste zeigt. Mit ihrem knalligen Orange bilden sie einen Fremdkörper im Kontrast zur steinig grauen Landschaft und öffnen einen Möglichkeitsraum, in dem das Vertraute und das Fremde frei von Stereotypen befragt werden können.
Doch die Ausstellung schöpft dieses Potenzial nicht aus. Durch eine kuratorische Taktlosigkeit wird es sogar im Keim erstickt. Bewusst endet die Ausstellung mit Fotos aus Deutschland, die MigrantInnen in verschiedenen Integrationsprozessen inszenieren. Zu sehen sind wissbegierige Geflüchtete beim Lernen lateinischer Buchstaben oder im begrünten Garten einer alten Frau, die lächelnd Gebäck serviert.
Hier ist Flucht kein Thema mehr: vergessen die Strapazen, vergessen die Umstände, so als würde das Ankommen in Deutschland jede traumatische Erfahrung aufheben. Als Abschluss der Ausstellung stricken sie im Dialog zu den vorherigen Bildern eine andere Geschichte. In der geht es nicht mehr um MigrantInnen, die flüchten, sondern um Deutschland als Retter-Staat. Flucht wird zum Instrument eines kleinbürgerlichen Selbstverständnisses, das die Rolle des Wohltäters glorifiziert und mit der eigentlichen Intention der Ausstellung bricht.
Zum Mittel anderer Zwecke werden die Fotos auch durch die Art, wie sie im Kapitel 8 präsentiert sind. Sie nehmen hier ihren Platz neben Kreuzen ein, hängen zwischen Info-Broschüren, in Vitrinen ausgestellten Lutherbibeln und Sesseln. So fällt es schwer, sie als Ausstellungsobjekte zu erkennen. Die lobenswerten Geste, den Fotos trotz des sichtbar geringen Platzes eine Bühne zu bieten, gleitet ins Gegenteil ab: Die gesamten Bilder laufen Gefahr, als Dekoration den Raum zu schmücken und nicht für Menschen auf der Flucht zu sensibilisieren. Wenigstens eine Beschriftung der Bilder hätte hier geholfen. Florian Schlittgen
bis zum 7. September, Domsheide 8
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